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Die Rotmützen stellten sich vor mehr als 300 Jahren den Steuerplänen von König Ludwig XIV. entgegen. Heute symbolisieren sie Widerstand gegen eine offensiv liberale Familienpolitik

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"Nein zu Gender Studies" war auf den Plakaten der Demonstration am Sonntag u.a. zu lesen.

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Genderstudies öffne der Akzeptanz von Pädophilie Tür und Tor, steht auf diesem Plakat geschrieben.

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Weit mehr als 100.000 FranzösInnen sind am Sonntag in mehreren Städten gegen die "Politik der Familienfeindlichkeit" auf die Straße gegangen - einen Tag darauf, am Montag, legte die Regierung von François Hollande ihre Pläne für ein neues Familiengesetz prompt auf Eis. Es werde in diesem Jahr kein Familiengesetz geben, hieß es aus dem Umfeld von Regierungschef Jean-Marc Ayrault in Paris. Als Gründe wurden notwendige "Vorbereitungsarbeiten" für den Gesetzestext sowie ein "bereits dichter parlamentarischer Kalender" genannt.

Bereits 7.000 homosexuelle Paare verheiratet

Damit hat das mächtige kirchlich-konservative Lager Frankreichs nach der Einführung der Homosexuellen-Ehe weitere Liberalisierungen verhindert.

Ähnliche Monsterumzüge hatte Frankreich 2012 und 2013 schon mehrfach erlebt. Sie richteten sich vor allem gegen die Homo-Heirat - "Heirat für alle" in der Sprache der Regierung -, die seit Monaten in Kraft ist und bereits mehr als 7000 homosexuelle Paare unter dem Dach der Ehe vereint hat.

Das Verblüffendste daran ist, dass den DemonstrantInnen eigentlich gar keine konkreten Forderungen mehr blieben. Denn die Homo-Ehe ist genauso in Kraft wie das liberale Abtreibungsrecht, das einen Schwangerschaftsabbruch neuerdings auch ohne "Notlage" der Frau erlaubt. Im Zentrum der Demonstrationen standen die umstrittene Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung unter anderem für lesbische Paare. Premierminister Ayrault bekräftigte dazu allerdings, dass er diesbezüglich gar keine Änderungen vorsehe.

Kritik gab es im Zuge der Sonntagsdemos auch an den "Gender-Studies", die die französische Regierung an Frankreichs Grundschulen bringen wolle. Dabei hat das Bildungsministerium derzeit lediglich an 600 ausgewählten Vorschulen ein Experiment namens "ABCD der Gleichheit" gestartet.

Aufruf zu Schulboykott

Die im Schnitt Fünfjährigen werden dabei zum Beispiel aufgeklärt, dass nicht nur Mädchen für die Krankenpflege und nicht nur Knaben für die Feuerwehr geeignet seien. Mit der Genderdebatte hat das Experiment nichts zu tun. Konservative Kreise riefen trotzdem in der Vorwoche zu einem Schulboykott auf. An rund 200 Vorschulen wurde der Appell laut Gewerkschaftsangaben teilweise befolgt; in einigen "Maternelles" fehlten demnach bis zu 50 Prozent aller Kinder.

Obwohl die Proteste der DemonstrantInnen ins Leere zielen, registriert die liberale Zeitung Le Monde ein "Aufwachen des reaktionären Frankreichs". Ein kleiner Teil der Protestierenden ist politisch klar der extremen und poujadistischen Rechten zuzuweisen; ihnen ist teils sogar der Front National von Marine Le Pen zu gemäßigt. MitläuferInnen sind die "Rotmützen" der bretonischen Steuerrevolte, aber auch AntisemitInnen aus dem Umfeld des Komikers Dieudonné.

Abgrenzung gegenüber radikalen Forderungen

Ihr Schlachtruf "Hollande démission" stößt allerdings bei der Mehrheit der DemonstrantInnen auf Widerspruch. Spruchbänder gegen Hollande wurden vom Sicherheitsdienst aus den Umzügen verbannt. Die Organisatorin der früheren Großdemos gegen die Homo-Ehe, Frigide Barjot, blieb am Sonntag sogar der neusten Kundgebung fern.

Trotzdem sind die konservativen FranzösInnen seit Monaten in Massen auf die Straße. Der Grund dafür liegt weniger in konkreten politischen Anliegen als vielmehr in einer verbreiteten Malaise in Teilen der französischen Gesellschaft. Viele FranzösInnen haben das Gefühl, auch die Familie als letzte Zuflucht sei in Gefahr, nachdem Globalisierung und Massenarbeitslosigkeit das kollektive Sozialmodell unterhöhlt haben.

Es genügt deshalb ein an sich unbedeutendes Gleichstellungsprogramm an den Vorschulen, um von neuem diffuse Ängste vor einem Verlust der heilen Familienwelt zu schüren. Das erinnert fatalerweise an die Debatte um die Homo-Ehe vor einem Jahr: Justizministerin Christiane Taubira hatte vergeblich gefragt, was denn herkömmlichen Paaren weggenommen werde, wenn sich gleichgeschlechtliche Partner das Jawort geben dürften.

Eine Antwort haben weder die Konservativen noch die hunderttausenden Protestierenden gegeben. Sie ziehen es vor, gegen gesellschaftspolitische Windmühlen zu kämpfen und einer Welt nachzutrauern, die längst nicht mehr existiert. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 4.2.2014)