Eine Ratte im Genuss: Die Tiere lassen sich mit Hingabe kitzeln, allerdings müssen sie sich dafür in einer stressfreien Situation befinden.

Foto: Shimpei Ishiyama & Michael Brecht

Berlin/Wien – Michael Brecht und Shimpei Ishiyama von der Berliner Humboldt-Universität gehören fraglos zu den weltweit führenden Koryphäen, was das Kitzeln von Ratten anbelangt. In ihren Versuchen haben die beiden Neurowissenschafter nicht nur herausgefunden, wo die Nager am kitzligsten sind (es ist der Bauch). Vor allem haben sie untersucht, welche Vorgänge sich dabei im Gehirn der Tiere abspielen.

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Wie die Reaktion auf den stimulierenden Zugriff mit anderen Verhaltensweisen zusammenhängt, kann Aufschlüsse darüber geben, in welchem sozialen und biologischen Kontext das Kitzeln steht – auch beim Menschen. Denn es gibt zwar jede Menge Allgemeinwissen und noch mehr praktische Anwendungen dieses Phänomens. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse sind bislang aber spärlich.

Aus früheren Studien weiß man bereits, dass gekitzelte Ratten Laute ausstoßen, die sich als Äquivalente unseres Lachens oder Kicherns interpretieren lassen – sie kichern allerdings im Ultraschallbereich bei 50 Kilohertz. Was auch bereits als erstes Anzeichen dafür gewertet werden kann, dass Ratten der Vorgang angenehm ist: Alarmrufe finden nämlich auf einer deutlich niedrigeren Frequenz statt. Dass die Tiere Spaß an der Sache haben, ist Brecht und Ishiyama zufolge aber ohnehin nicht zu übersehen. Zwischen Kitzelattacken vollführten ihre Ratten buchstäblich Freudensprünge, zudem suchten sie immer wieder aktiv Kontakt zur genussspendenden Forscherhand. Ähnliches Verhalten kennt man bereits von Menschenaffen.

Eine Frage der Stimmung

Bei der Untersuchung der Gehirnaktivität während des Gekitzeltwerdens konzentrierten sich die Forscher auf den somatosensorischen Cortex der Ratten, jenen Teil der Großhirnrinde, in dem Tastwahrnehmungen verarbeitet werden. Es zeigte sich, dass die dabei auftretenden Aktivitätsmuster der Neuronen denen ähneln, die während eines sehr säugetiertypischen Verhaltens zu sehen sind: dem Spielen.

Die im Fachblatt Science veröffentlichte Studie stützt damit eine Vermutung, die schon Charles Darwin geäußert hat – nämlich dass Kitzeln vor allem eine soziale Komponente hat. Bei den Versuchsratten äußerte sich dies, indem sie der Hand des Forschers spielerisch hinterherjagten.

Der große Naturforscher hat auch postuliert, dass man in der richtigen Stimmung sein muss, um auf Berührungsreize mit Lachen zu reagieren. Auch das konnten die Berliner Forscher nun bestätigten. Sie setzten Ratten auf erhöhte und stark ausgeleuchtete Plattformen – eine Situation, die den auf Deckung bedachten Nagern Angst macht. Prompt verloren sie den Humor, die neuronale Aktivität samt begleitendem Kichern wurde nun unterdrückt. Dass der für Tastreize zuständige Cortex in seiner Aktivität stimmungsabhängig ist, dürfte Gehirnforscher interessieren.

Der Kitzel im Hirn

Blieb noch ein abschließender Test, der Darwin seinerzeit technisch nicht möglich war. Den konnten Brecht und Ishiyama aber nun im Labor nachholen. Sie verzichteten in einer weiteren Versuchsreihe auf Handgreiflichkeiten und stimulierten den somatosensorischen Cortex direkt, indem sie die dortigen Neuronen einem Strom von 50 bis 300 Mikroampere aussetzten. Und siehe da: Auch das brachte die Ratten wie wild zum Kichern. Brecht zieht aus seinen Versuchen die Bilanz: "Wir glauben, dass wir die Stelle im Gehirn gefunden haben, die kitzlig ist." (Jürgen Doppler, 11.11.2016)