Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht trat am 8. Mai 1945 in Kraft. Seitdem gilt dieser Tag als Tag der Befreiung. In der DDR war er von 1950 bis 1966 gesetzlicher Feiertag; in Frankreich, Tschechien und in der Slowakei ist er das übrigens immer noch.

Wie wir alle wissen, war es in Österreich bis inklusiv 2012 ganz anders. Für mich, Franzose, der seit zehn Jahren in Wien lebt, war dieser Umstand vom Anfang an ein Schock – nicht nur, weil meine Familie am 15. Mai 1938 aus Wien fliehen musste. Denn die Braunen – oder die Blauen, ich weiß nie genau – organisierten stets einen Trauermarsch an diesem Tag, in Gedenken an die militärische Niederlage der Nazis. Unter dem Titel "Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände" hatten die Anhänger den ganzen Heldenplatz für sich, während möglichen Gegendemonstranten sogar Platzverbot erteilt wurde.

Heuer nun fand dort zum zweiten Mal ein "Fest der Freude" mit einem Gratiskonzert der Wiener Philharmoniker statt. Dies ist natürlich eine sehr gute Entwicklung, aber dennoch lässt der Zustand viel zu wünschen übrig. Alle Redner berauschten sich an ihren großen Worten. Bundeskanzler Werner Faymann, vehement wie selten, erklärte, er sei "stolz, dass der Heldenplatz geprägt von Antifaschisten und Demokraten" sei: "Das ist das Bild, das Österreich verdient hat."

Bälle und Prügel

Nur warum hat er dann zuletzt Rechtsextreme und Freunde von Holocaustleugnern aus ganz Europa in der Hofburg beim "Akademikerball" tanzen lassen, während die Antifaschisten wieder in die Außenbezirke verbannt wurden? Warum wurden am Wochenende die Demonstranten gegen den Marsch der sogenannten Identitären Bewegung, die angebliche Nachteile der "Jugend ohne Migrationshintergrund" bekämpfen will, von der Polizei regelrecht niedergeprügelt? Vielleicht, weil ihnen die die nette Musik am 8. Mai nicht ausreichend war als antifaschistisches Statement?

Justizminister Wolfgang Brandstetter nannte in seiner Rede am "Fest der Freude" die existierenden Strafen und Gesetze für Wiederbetätigung, vergaß aber zu erwähnen, dass die Partei, die ihn als Minister vorgeschlagen hat, die ÖVP, immer noch ein Porträt Engelbert Dollfuß' in ihrem Parlamentsklub hängen hat. Oder Barbara Prammer: Sie macht sich stark für die Erinnerungskultur und wurde an diesem Abend von einem KZ-Überlebenden begleitet. Es bleibt ein Rätsel, warum sie 2012 einen Antrag für eine Auszeichnung Heinz-Christian Straches gestellt hat. Sie wollte, dass der FP-Klubobmann ein Großes Goldenes Ehrenzeichen mit Stern erhält – weil es "Usance" sei, hieß es aus ihrem Büro (der Bundespräsident lehnte übrigens ab).

Warum hat am "Fest der Freude" niemand die Befreier erwähnt? Ein Tag der Befreiung ohne Befreier, wie kann das sein? Drei Sitzreihen waren für VIPs reserviert: ein Platz für den russischen Botschafter (stellvertretend für die UdSSR), keiner für die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Frankreich. Dafür könnte man zwölf Sitze zählen, die für die israelische Botschaft reserviert waren. Jeder Attaché war genannt, samt Begleitung.

Man soll mich hier nicht falsch verstehen, ich habe kein Problem damit, dass die israelische Botschaft so stark vertreten war, aber die Abwesenheit von den vier Alliierten in allen Reden war mehr als überraschend. Auch wenn die Bevölkerung eine schlechte Erinnerung hat, und Österreich schnell im westlichen Lager eingeordnet wurde, sollte man nie vergessen, dass die Sowjetunion Wien befreit hat.

Stattdessen wurde Russland viermal in verschiedene Reden angegriffen, mit expliziten Hinweisen auf die Lage in der Ukraine. War das wirklich der richtige Ort dafür? Hat nicht auch die EU mit der Entstehung der aktuellen Situation in der Ukraine zu tun? Und wenn man wirklich über Faschismus in Europa reden möchte, warum nicht die Unterstützung der Europäischen Volkspartei von Viktor Orbán in Ungarn erwähnen?

Und die Sinti und Roma?

Es ist natürlich gut und wichtig, der Opfer zu gedenken und in diesem Sinne der Israelitischen Kultusgemeinde eine prominente Rolle zu geben. Es hat mich aber bestürzt, als ich den Obmann des Kulturvereins Österreichischer Roma, Rudolf Sarközi, gesehen habe, für den kein Sitz reserviert worden war. Ja, es gab über 65.000 jüdische Opfer (von den etwa 200.000 Juden, die vor dem Krieg in Österreich lebten), aber auch über 9500 ermordete Sinti und Roma (von 12.000). Ich bin weit davon entfernt, eine Konkurrenz zwischen den Opfergruppen zu fordern, aber bei Gedenkzeremonien sollte man besonders auf Symbole aufpassen.

Ein "Fest der Freude" kann eine sehr gute Idee sein, aber so selbstgefällig muss es auch nicht werden. Wir sind so gut und so antifaschistisch, weil wir jetzt am 8. Mai ein Konzert haben – ungefähr so lautet die Zusammenfassung aller Reden. Stattdessem könnte man konstruktiver denken und fragen: Warum so spät?

Befreier gehören gefeiert

Die Befreier gehören definitiv an dem Tag der Befreiung erwähnt, wenn nicht gefeiert.

(Jérôme Segal, DER STANDARD, 19.5.2014)