Mit wem rede ich, mit Tom Neuwirth oder Conchita Wurst?

Im Interview mit Conchita Wurst. Allerdings hat sie heute auf ihre Maskerade verzichtet.

Wann sind Sie Tom, wann Conchita?

Wenn ich es prozentuell aufteile, dann bin ich derzeit zu 80 Prozent Conchita und zu 20 Tom, wobei sich Tom auf Hotelzimmer und Indoor-Termine reduziert. An Tagen wie heute genieße ich es, mich nicht extra für ein Interview aufzubrezeln, sonst hätte es länger gedauert, bis wir zusammensitzen können.

Wie lange hätte es gedauert?

Es kommt darauf an, ob ich meine Beine rasieren muss oder nicht. Mein Gesicht habe ich in einer Stunde gemalt. Je nachdem wie knapp die Termine hintereinandergereiht sind, muss ich dann auch noch meine Beine machen.

Rock von Talbot Runhof, Top von Guy Laroche, Gürtel Hèrmes und Schuhe Elite Heels. Conchitas Ring ist von Schullin und Hund Leon trägt eine Halskette von Rozet & Fischmeister.
Maria Ziegelböck

Mag Conchita eigentlich Tom bzw. Tom Conchita?

Darüber habe ich noch nie ernsthaft nachgedacht. Ich glaube, dass Tom von ihr auf eine humorvolle Art und Weise genervt ist. Tom ist derjenige, der die Wohnung putzt und die Rechnungen bezahlt, während Conchita ihr Lotterleben führt. Die beiden verschmelzen immer mehr, aber es gibt viele Kleinigkeiten, wo meine Freunde sagen, dass Tom und Conchita sehr verschieden sind.

Zum Beispiel?

Sobald ich Frau Wurst bin, sitze ich eleganter da und habe bessere Manieren. Da bin ich eine Lady. Ein ganz großer Unterschied ist die Sprache, Frau Wurst spricht Hochdeutsch. "Des is" würde sie nie sagen.

Tritt Tom überhaupt in der Öffentlichkeit auf?

Nein.

Fotografiert darf er auch nicht werden?

Nein.

Aber es gab Zeiten, in denen Sie als Tom aufgetreten sind und sich auch fotografieren ließen.

Ja, das war 2007, rund um Starmania, auch danach noch hin und wieder. Seit dem Zeitpunkt, ab dem Conchita Wurst als Figur auf der kommerziellen Bühne funktionierte, aber nicht mehr. Das erste Jahr hat die liebe Conchi ja so getan, als würde sie mich nicht mehr kennen.

Das müssen Sie erklären.

Wenn mich damals jemand auf Starmania angesprochen hat, habe ich so getan, als wüsste ich nicht, wovon er spricht. Das habe ich durchgezogen, weil ich es unglaublich amüsant fand, Journalisten zu ärgern. Die meisten haben mitgespielt, das fand ich schön, weil es respektvoll war. Manch einer hat sogar meine Eltern kontaktiert und sie gefragt, was sie davon halten, dass ihr eigener Sohn sie verleugne.

Das Spiel wurde nicht von allen durchschaut?

Nein, aber genau deswegen habe ich es gespielt. Einmal habe ich eine Homestory mit einem österreichischen Boulevardblatt gemacht und mich in einer wahnsinnig tollen Wohnung fotografieren lassen, die natürlich nicht die meine war. Die Wohnung war Dekadenz ohne Ende. Daraufhin ruft mich meine Oma an und sagt: Ich gönne dir ja alles, aber muss es wirklich so eine große Wohnung sein? Da war ich von meiner Oma ein bisschen enttäuscht. (lacht) Irgendwann habe ich das Spiel aber sein lassen. Dadurch hat das Ganze mehr Tiefgang bekommen.

Das Kleid ist von Miu Miu und die Sandalen von Elite Heels.
Foto: Maria Ziegelböck

Wann ist die Figur Conchita eigentlich genau entstanden?

Rund um 2010 habe ich mich entschieden, eine Frau mit Bart sein zu wollen. Ich habe damals hier in Wien begonnen, eine Burlesque-Revue, Salon Kitty hieß die, zu moderieren. Ich fand es lustig, mit Bart aufzutreten, ganz einfach weil mir der Bart gefiel. Kurz vor der Großen Chance kamen aber einige ernst gemeinte Ratschläge, dass ich mir den Bart abrasieren solle.

Kulturgeschichtlich ist die bärtige Frau eine gut eingeführte Figur. Haben Sie gezielt mit dem subversiven Aspekt der Figur gespielt?

Nein, ehrlich gesagt war mir das zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Es war einfach schön und spannend und lustig, mit Bart aufzutreten. Die Reaktionen haben mir aber sehr schnell gezeigt, dass man mit dieser Figur so viel mehr machen kann, als einfach nur auf der Bühne zu stehen und eine skurrile Figur zu sein. In dieser Zeit hat sich für mich die Notwendigkeit gezeigt, für Freiheit in jeglicher Form einzustehen. Rückblickend betrachtet muss ich sagen, dass das schon immer so war. Tom hat sich schon als Kind mit jedem angelegt, der jemandem anderen eine Sandschaufel weg genommen hat.

Die politische Dimension der Figur wurde Ihnen erst nach und nach bewusst?

Ja, weil die Diskriminierung plötzlich eine ganz andere war. Die Reaktionen auf mich als bärtige Frau waren viel aggressiver als jene auf einen homosexuellen jungen Mann. Sie waren mit viel mehr Angst verbunden. Die meisten Menschen wussten einfach nicht, wie sie auf eine bärtige Frau reagieren sollten. Diese Reaktionen haben mir gezeigt, dass ich etwas machen muss.

Making-of-Video vom RONDO-Shooting mit Conchita Wurst

(>> Making-Of-Ansichtssache).
derstandard.at/von usslar

Welche Reaktionen kamen da?

Ich habe relativ früh für Frau Wurst eine Fanseite eingerichtet. Ich habe bald viele Fans gehabt, aber da tummelten sich auch viele Leute, die mich angegriffen haben. Das hat mich ratlos gemacht, weil ich einfach nicht verstanden habe, wie viel Hass Menschen auf jemanden, den sie nicht einmal kennen, haben können.

Was für ein Problem haben Menschen mit einem Mann, der eine bärtige Frau ist?

Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube, man reagiert nur dann so, wenn man tief drinnen ein wahnsinnig unsicherer Mensch ist. Wenn ein heterosexueller Mann weiß, dass er auf Frauen steht, dann muss er vor einem schwulen Mann in Frauenkleidern keine Angst haben. Dann kann er doch darüber lachen, wenn er mich von hinten sieht und denkt, die schaut Mörder aus. Und dann drehe ich mich um, und plötzlich steht keine Frau, sondern ein Mann vor ihm.

Auch in der Schwulencommunity werden Transvestiten und Transsexuelle oft scheel angeschaut. Haben Sie auch Anfeindungen unter Schwulen erlebt?

Nicht in der Burlesque-Zeit, dann aber, ja. Doch ab dem Moment, als ich als Conchita auf der Song-Contest-Bühne stand, haben sich alle gleich von mir repräsentiert gefühlt. Da kann ich nur sagen, danke für die Blumen, aber ich habe nie gesagt, dass ich irgendjemanden repräsentiere.

Sie würden sich auch derzeit nicht als Sprecher der Lesben- und Schwulencommunity sehen?

Nein, damit würde ich mir Verantwortung aufbürden, die ich nicht tragen kann. Ich bin nicht perfekt, ich sage nur das, was ich mir denke. Wenn es Menschen gibt, die das ähnlich sehen oder sich von mir angesprochen fühlen, ist das wunderbar, aber es gibt genauso viele, die sich von mir nicht angesprochen fühlen, auch in der LGBT-Community.

Im heurigen Sommer sind Sie von einer Gay-Pride zur nächsten gereist und wurden dort wie ein Aushängeschild der Community behandelt.

Ja, von der Community! Aber ich habe niemanden darum gebeten. Nur damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich schätze das sehr und bin auch sehr dankbar, aber diesen Schuh lass ich mir nicht anziehen.

Conchita trägt einen Mantel von JC Hoerl mit einer Brosche von Rozet & Fischmeister und Ringen von Oliver Heemeyer. Der Hund Leon trägt ein Collier von Rozet & Fischmeister.
Maria Ziegelböck

In früheren Generationen war es ein großes Thema, dass Schwule und Lesben keine positiven Identifikationsfiguren gehabt haben. Sie sind jetzt eine. Sehen Sie das nicht als Verpflichtung?

Das ist eine Verpflichtung, die mir jemand anderer umhängt. Zu den gefährlichsten Dingen gehören Erwartungshaltungen. Man wird so schnell enttäuscht, ohne dass irgendwer etwas dafürkann. Ich mache nicht etwas, um jemandem einen Gefallen zu tun, sondern ich mache das, weil ich es machen muss. Als Jugendlicher versucht man Everybody's Darling zu sein, damit habe ich schnell aufgehört.

Mit 14 sind Sie von zu Hause weggegangen und haben in Graz eine Modeschule besucht. Dieser Tom von damals, was war das für ein Mensch?

Ich hatte damals viel stärker das Verlangen, es allen recht zu machen. Ich bin auch heute noch einer der Ersten, der, wenn irgendetwas in meinem Freundeskreis schiefläuft, sofort den Grund bei sich sucht.

Conchita Wurst in einer Bluse von Prada, Bra von Wolford, Rubinenohrstecker von Rozet & Fischmeister und Ohrring von Oliver Heemeyer.
Foto: Maria Ziegelböck

Aufgewachsen sind Sie in Bad Mitterndorf in einer sehr ländlichen Umgebung. War das eine gute Zeit?

Ich teile meine Kindheit in zwei Phasen, jene vor der Pubertät und jene danach. Vor der Pubertät war alles happy peppy. Ich habe mir die Röcke meiner Cousinen angezogen, bin in den Kindergarten mit Lackballerinas gegangen. Das geschah abseits von jeder Wertung.

Auch nicht vonseiten Ihrer Eltern?

Meine Mama hat es akzeptiert, vielleicht aber oft auch nur, weil sie den morgendlichen Kampf gegen mich verloren hat. Eine Legende besagt, dass meine Oma mir meinen ersten Rock gekauft hat. Aber der Grund war nicht, weil sie das gut fand, sondern weil sie endlich aus dem Geschäft wollte. Auch meine Mama hat versucht – oft unter dem Einfluss von anderen –, mir Frauenkleider auszureden. Aber sie hat schnell gemerkt, dass das nichts bringt. Es war ihr schließlich egal. Das rechne ich meinen Eltern hoch an. Die hatten es sicher oft nicht leicht.

Der Wissensstand zu Themen wie Homosexualität usw. war damals ein ganz anderer.

Ich habe mich mit meinen Eltern nie ausführlich über diese Zeit unterhalten, aber die Mutter meiner besten Freundin sagt bis heute, dass sie einen sehr großen Respekt vor meiner Mutter habe, weil sie so zu ihrem Kind gestanden ist. In dem Moment, wo die Pubertät kommt, haben Kinder plötzlich einen Namen für den Burschen, der Kleider trägt, und man kommt auch selbst drauf, was es bedeutet, auf Jungs zu stehen.

Das war Ihnen immer klar?

Ja, aber ich hatte keinen Namen dafür. Ab der Pubertät wurde es schwer. Das hatte auch damit zu tun, dass ich jahrelang nicht zu 100 Prozent zu mir stehen konnte.

Was meinen Sie damit?

Die anfängliche Phase, in der man denkt, dass mit einem selbst etwas falsch sei, war schnell vorbei. Aber ich habe es sehr lange niemandem gesagt. Dadurch, dass ich es als Geheimnis behandelt habe, hat es wehgetan, wenn Menschen einem blöde Spitznamen geben. Mit 14 bin ich weg, das war ein Akt der Befreiung, aber das war immer noch nicht der Moment, in dem ich mit meinem Schwulsein frei umgegangen wäre. Ich habe mir gedacht, jetzt bin ich so weit weg, hier checkt es eh niemand.

Conchita in einer Korsage von Royal Black by Barbara Pesendorfer und einem Slip von Wolford.
Maria Ziegelböck

Wann haben Sie sich geoutet?

Ich habe ein Interview gegeben, das war in der Starmania-Zeit.

Und das haben Ihre Eltern beim Frühstück gelesen …

Ich habe es ihnen natürlich vorher gesagt. Ich bin nach Hause gefahren und habe meinen Eltern erzählt, dass nächste Woche dieses Interview erscheinen wird. Das war die totale Überforderung für die zwei.

Sie würden das wahrscheinlich in dieser Art nicht noch einmal machen.

Nein, auf gar keinen Fall. Ich habe meinen Eltern die Zeit nicht zugestanden, die ich selbst hatte, um damit klarzukommen. Das tut mir bis heute wahnsinnig leid. Trotzdem ist etwas sehr Schönes passiert: Sie haben von mir gelernt. Normalerweise ist es umgekehrt. Das war auch ein wichtiger Entwicklungsschritt für sie. Gerade wenn man ein Gasthaus hat, ist man von der Meinung der anderen abhängig. Schwulsein war für meine Eltern nie ein Problem, die Meinung der anderen aber schon. Meine Mama sagt mir aber bis heute, dass die Meinung von Menschen, die einem nichts bedeuten, nichts zählt.

Die Maske ist eine Einzelanfertigung von Jessy Heuvelink. Die Korsage stammt aus Conchitas Privatbesitz.
Foto: Maria Ziegelböck

Dass der eigene Sohn schwul ist, damit müssen viele Eltern umgehen, aber dass ihr Sohn eine bärtige Dame ist, das dürfte auch nicht ganz leicht gewesen sein.

Möchte man meinen. Aber das war nicht so. Meine Mama hat fast lippensynchron mit meiner Oma gesagt: Diese Kleider, die du da trägst, die ziehst du nur einmal an, oder?

Das klingt nach Girls’ Talk.

Meine Mama und meine Oma hatten kein Problem damit, und auch mein Papa fand’s großartig. Mein Vater ist selbst ein großer Schauspieler, er hat sich immer köstlich amüsiert, was ich so alles in den Medien gesagt habe.

War Graz eine gute Stadt, um das eigene Schwulsein auszuleben?

Für mich ja. Man möchte es vielleicht nicht glauben, aber ich bin eher schüchtern. Viele würden Graz als zu langweilig für einen jungen Schwulen sehen, für mich war es die genau richtige Dosis. Nicht zu viel, und wenn man will, dann kann man. Mich hat die Exzentrik, die in unserer Community herrscht, anfangs etwas abgeschreckt. Obwohl sie mich immer fasziniert hat. Ich kann mich erinnern, dass ich in der zweiten Klasse Modeschule ein Bild von Tamara Mascara (eine Wiener Dragqueen, Anm.) gesehen habe und über die Maßen fasziniert war. Ich war ein Fan-Girl von ihr.

Haben Sie damals schon die Bühne gesucht?

Ständig. Es ist eigenartig: Einerseits bin ich nur während der Schulstunden auf die Toilette gegangen, also wenn niemand am Gang war, weil ich mich nicht mit irgendwelchen Statements konfrontieren lassen wollte. Ich habe jedes Gekicher auf mich bezogen. Andererseits habe ich die Bühne immer gesucht, sie ist bis heute für mich ein geschützter Bereich.

Conchita in einem Kleid von Roberto Cavalli, einem Cape von JC Hoerl, einer Jacke mit Fake-Fur-Kragen von Costume National. Die Brille ist von Saint Laurent und der Schmuck von Oliver Heemeyer.
Maria Ziegelböck

Können Sie sich an Ihren ersten Bühnenauftritt erinnern?

Ich war bei jedem Weihnachtsspiel vom Kindergarten an bis zur Hauptschule mit dabei – bei jedem.

Und immer die Maria?

Nicht bei jedem. Man muss ja auch in seine Rolle hineinwachsen. (lacht) In Graz habe ich dann damit begonnen, dass ich zu bestimmten Anlässen in Drag aufgetaucht bin.

Das ist wirklich mutig in diesem Alter.

Ja, aber ein Kleid schützt einen auch – auch eine Bühne. Ich werde oft gefragt, ob ich Politiker werden möchte. Nein, würde ich nicht, weil man dann mit der knallharten Realität konfrontiert ist. Als Künstler darf man sagen, was man will. Diese Freiheit, auf der Bühne zu tun, was man möchte, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen, das ist das, was mir Sicherheit gibt.

Conchita trägt ihre eigene Korsage und einen Bra von Ludique, alle Make-up-Produkte sind von Giorgio Armani Beauty.
Maria Ziegelböck

Sie waren über die Jahre hinweg bei einigen Castingformaten dabei ...

Ich war als Tom bei Starmania, als Conchita bei der Großen Chance. Und in Deutschland in diversen Reality-TV-Shows unter anderem mit RTL in Afrika. Aber bei den Reality-Shows ging es um nichts.

Haben Ihnen diese Erfahrungen geholfen, mit dem Song-Contest-Sieg besser umgehen zu können?

Bei allem Blödsinn und Trash, den ich gemacht habe, das war alles wichtig, einfach auch nur, um ausschließen zu können, was ich nicht kann und will. Ich schau gerne Trash-TV, ich mag das, aber ich kann es selbst nicht. Ich bin zu langweilig. Ich möchte nicht die bärtige Frau sein, die neben zwei Mädels steht, die sich die Augen auskratzen, und sagen müssen: Vertragt euch bitte wieder und geht Beeren sammeln! Unterhaltsam zu sein, das muss man können, eine Kim Kardashian hat diesbezüglich ein Riesentalent.

Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Wie man mit Medien umgeht. Ich habe gelernt, dass am Ende des Tages nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Ich habe gelernt, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.

Sie werden noch "Conchitas gesammelte Weisheiten" als Buch herausbringen.

Ja, aber leider sind die alle geklaut. (lacht) Ich musste auch lernen, Nein zu sagen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn ich jetzt hier ungeschminkt vor Ihnen sitze, ist das meine Entscheidung: Nein, ich will heute kein Make-up tragen. Das hätte ich vor zwei Jahren noch nicht gemacht.

Conchitas Kleid ist von Emilio Pucci, der Gürtel von Jean-Paul Gaultier Haute Couture, der Schmuck von Rozet und Fischmeister. Die Uniformen der Zimmermädchen sind Leihegaben vom Hotel Bristol.
Maria Ziegelböck

Mit dem Song-Contest-Sieg wurden Sie zu einer öffentlichen Person, die nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa bekannt ist. Was auffällt, ist, dass sich die Strategie, wie und wo Sie in der Öffentlichkeit auftreten, stark verändert hat. Sie agieren international, arbeiten mit den Großen der Großen zusammen, machen nur noch sehr ausgewählte Mediengeschichten. Gibt es da so etwas wie einen Masterplan?

Das hat sich so entwickelt. Ich habe jetzt die Möglichkeit, das zu tun, was ich will. Ich funktioniere in einem seriösen Umfeld besser. Sagt die Frau mit Bart. (lacht)

Was meinen Sie mit seriös?

Ich nehme meinen Job und diese Kunstfigur so ernst, dass ich nicht den Hauch einer Chance aufkommen lassen will, dass das jemand als Witz bezeichnet. Deswegen rede ich mit Medien, die von Boulevard nicht so viel halten, und lerne gerne von den Größten. Ich will mich am Ende zurücklehnen, mit hoffentlich 120 Jahren, und sagen können, dass ich etwas geleistet habe. Dass ich etwas beigetragen habe. Das ist ein großes Ziel, viele werden es als größenwahnsinnig bezeichnen. Aber so bin ich.

Der rote Rock ist von Talbot Runhof, das Top von Guy Laroche und die Schuhe von Wunderkind.
Maria Ziegelböck

Diesen Sommer liefen Sie bei der Couture-Show von Jean Paul Gaultier, Karl Lagerfeld hat Sie fotografiert. Zumindest in der Modeszene sind Sie im Olymp angekommen. Gleichzeitig lehnen es aber manche auch jetzt noch ab, mit Ihnen zusammenarbeiten. Ist die Modeszene doch nicht so offen und liberal, wie alle tun?

Ich sehe das als Motivation. Ein Jean Paul Gaultier sieht etwas in mir, was andere nicht sehen – oder ihnen nicht wichtig ist. Ich glaube, dass viele Modehäuser, wenn sie mit einem Musiker zusammenarbeiten, eher auf die Plattenverkäufe schauen als auf die Persönlichkeit. Das muss man respektieren, und das tue ich auch. Aber ich sage immer, die kommen auch noch in meine Gasse.

Bei Gaultier führten Sie das wichtigste Kleid der Kollektion, das Brautkleid vor …

... es ist mir sehr peinlich, ich war der Look 49, es gab aber 50 Looks. Die Braut kam erst nach mir. Für ein Model ist es das Nonplusultra, eine Modeschau zu beschließen. Ich habe der Braut die Show gestohlen. Nichtsdestotrotz: Ich habe es geliebt. Das Model, das die Show eröffnet hat, ist dreimal hingefallen, dementsprechend nervös war ich. Mir war bewusst, dass man sich wahnsinnig blamieren kann. Wenn ich singe, weiß ich zumindest, dass ich das kann ...

Die Latexbluse ist eine Spezialanfertigung von latex4you.
Maria Ziegelböck

... über einen Laufsteg sind Sie aber auch nicht das erste Mal gelaufen. Sie sind ja in der Modeszene sozialisiert worden.

Das schon, aber das war meine erste Haute-Couture-Show in Paris!

Was in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so bekannt ist: Sie kennen sich in der Mode ganz wunderbar aus. Das hat man auch bei unserem Shooting gesehen.

Einen großen Teil des Blumenstraußes muss ich an meinen Stylisten weitergeben. (Tom Reinberger, Anm.) Was das Styling unserer gemeinsamen Modestrecke anbelangt, war mein Ansatzpunkt, dass wir Conchita als eine moderne Sisi darstellen – und zeigen, wie sehr sie sich für ihre Schönheit selbst kasteit und gegeißelt hat. Jean Paul nennt mich ja immer die junge Kaiserin.

Dass Conchita als neue Sisi dargestellt wird, das ist eine relativ neue Entwicklung, oder?

Meine Freunde haben bereits in der Vergangenheit öfter Bemerkungen in diese Richtung gemacht, aber nur im Scherz. Es waren die Moderatoren des Song Contest, die bei den Proben anfingen, mich "Queen of Austria" zu nennen. Ich dachte mir, dass sie das bei der Übertragung dann sein lassen würden. Ich fand das fast schon etwas parteiisch. Aber sie haben es gemacht. Vor allem im Ausland nehmen diese Sisi-Zuschreibung viele recht ernst – ernster als ich jedenfalls. Aber gut: Du bist jetzt etwas, das wir aus Österreich kennen und das nicht mit der Zeit vor 1945 zu tun hat.

Aber Sie sind selbst auch relativ schnell auf den Sisi-Zug aufgesprungen. Ist ja auch eine gute Marketingstrategie, oder?

Ich war immer schon von starken Frauen angezogen, die sich selbst starke physische und psychische Schmerzen zugefügt haben. Dieses Drama hat für mich etwas wahnsinnig Romantisches. Ich liebe Edith Piaf, weil ihr Leben voller Leiden ist. Sisi hat in Umstände eingeheiratet, die sie sich selbst wahrscheinlich nie ausgesucht hätte.

Selbstgeißelung als Reaktion für ein unglückliches Leben in einer bestimmten Gesellschaft?

Ich mag es, wenn jemand zu sich wahnsinnig streng ist. Ich schnüre mich ein, ziehe die unbequemsten High Heels an, will die Schönste und Schlankste sein. Ich will, dass mich Frauen beneiden, ich weiß nicht, warum. Würde ich neben mir stehen und die Conchita oder der Tom würden sagen, ich möchte mir meine Nase machen lassen, ich würde sie fragen, ob sie bescheuert sind. Aber gleichzeitig bin ich selbst der Erste, der sich die Nase wegstemmen lässt, weil sie mich einfach nervt.

Sie interpretieren Sisi als sehr moderne Frau.

Ja, das war sie. Für mich ist dabei weniger ausschlaggebend, dass sie tätowiert war oder Dinge ausprobiert hat, die man heute auch noch nicht darf. Seit ich in der Öffentlichkeit eine Frau bin, weiß ich, warum so viele Frauen nach einem bestimmten Idealbild streben. Ich selbst kann wirklich nicht jammern, ich bin mit 52 Kilo auf 1,72 für eine Frau gut dabei. Aber nichtsdestotrotz ertappe ich mich oft dabei zu denken, dass ich mit 50 Kilo glücklicher wäre. Das ist bescheuert, ich weiß das.

Hätten Sie als Tom auch gern 50 Kilo?

In der Zeit vor Conchita ist Tom wie ein Trottel ins Fitnessstudio gerannt, ich habe Proteinshakes getrunken, weil ich um alles in der Welt zunehmen und trainiert sein wollte. Aber mein Körper hat gesagt: Nein. Mittlerweile mag ich es, wie ich bin, auch so, wie ich jetzt als Tom vor Ihnen sitze. Aber ich verstehe viele Frauen, die mit ihrem Körper unglücklich sind. Es heißt ja immer, Hauptsache, man ist gesund. Aber das ist Heuchelei. In der Mode werden die gesunden Mädchen ja nicht gebucht. Jean Paul Gaultier ist da anders. Bei ihm treten Menschen mit ganz unterschiedlichen Körperformen auf.

Conchita schwebt in einem Kleid von Melissanthi Spei.
Foto: Maria Ziegelböck

Seitdem Sie den Song Contest gewonnen haben, jagen Sie von einem Event zum nächsten. Haben Sie das Gefühl, sich in Zukunft auf etwas konzentrieren zu müssen?

Nein. Für mich harmoniert alles sehr gut, was ich mache. Dinge, die ich nicht machen mag, sage ich ab. Auch wenn das manchmal finanziell dumm ist. Aber ich verstehe es, dass es für Menschen leichter ist, Künstler zu kategorisieren. Derzeit ist es so, dass ich im Hintergrund in jeder freien Minute Musik mache. Wir nehmen ein neues Album auf, aber das ist sehr schwierig, weil dafür schlichtweg keine Zeit ist. Ich schreibe meine Lieder nicht selbst, ich habe es probiert, aber ich kann es nicht. Viele Songs hören sich als Demo super an, stehen mir aber nicht. So geht es immer zwei Schritte nach vor und drei zurück.

Wird das neue Album stilistisch dort weitergehen, wo "Rise Like A Phoenix" aufgehört hat?

Der Song wurde vor vier Jahren für ein Projekt im Stil von Shirley Bassey geschrieben. Beim Song Contest probiert man keine Dinge, die man nicht kann. Was ich kann, sind große, dramatische Balladen. Mit zehn habe ich Goldfinger von Shirley Bassey geliebt. Das war schon damals nicht cool. Aber das ist der Ursprung meines Musikgeschmacks. Aber nein: Das Album wird nicht so klingen. Dafür habe ich viel zu viel Interesse an anderen Musikrichtungen.

Zum Beispiel?

Wir versuchen, einen eigenen Sound zu entwickeln. Noch ist alles viel cooler, als ich dachte, dass es sein wird. Für mich war Conchita immer eher Old Hollywood. Rise Like A Phoenix war nicht Mainstream und konnte deswegen auch kein kommerzieller Hit werden. Im Team waren einige sehr skeptisch, als ich dieses Lied ausgesucht habe. Sie wussten einfach, dass es sich nicht verkaufen wird. Hätte ich den Song Contest nicht gewonnen, wäre es in keinem Land der Erde zur Nummer eins aufgestiegen. Jetzt habe ich Songs eingespielt und war von mir selbst überrascht, wie cool ich sein kann.

Sind Sie vielleicht doch eine bessere Musikerin, als Sie selbst von sich behaupten?

Cher hat von sich gesagt, dass sie kein Cher-Fan ist. Ich kann unterschreiben, dass Conchita oft kein Conchita-Fan ist. Ich bin nie zu 100 Prozent mit mir zufrieden.

Was hören Sie privat?

Ich liebe Beyoncé. Sie ist überirdisch präzise. Das ist, wenn man sie länger konsumiert, mitunter ermüdend. Aber für mich ist sie Inspiration. Es gibt niemanden auf diesem Planeten, der so präzise singt.

Womit wir wieder bei Ihrem Lieblingsthema Perfektion sind.

Ja, sie ist so glatt, dass es schon wieder zu glatt ist. Zu 80 Prozent sind es weibliche Stimmen, die mich faszinieren. Und ich liebe Woodkid. Ich würde mir wünschen, dass das neue Album noch heuer fertig wird, aber versprechen kann ich es nicht.

Ihre neue Single stellen Sie am 8. November bei "Wetten, dass..?" vor. Man reißt sich mittlerweile um Ihre Auftritte. Wie sehr erstaunt Sie das?

Was soll ich sagen: Eine große österreichische Bank hat sich eine Dragqueen als Testimonial genommen. Hätte das jemand vor zwei Jahren vorhergesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Aber ich bin überzeugt: Man kann alles erreichen, wenn man nur hart genug daran arbeitet. Es ist eine Bestätigung, dass man auch träumen darf.

Mitte November werden Sie für eine Woche im Crazy Horse in Paris auftreten – von der Familienshow ins Strip-Etablissement. Wie erklären Sie sich, dass Conchita eine so breite Akzeptanz hat?

Für mich sind Wetten, dass..? und Crazy Horse nicht so weit voneinander entfernt. Dita Von Teese ist auch im Crazy Horse aufgetreten und bei Wetten, dass..? auf der Couch gesessen.

Haben Sie Angst, dass dieser Höhenflug bald wieder an ein Ende kommt?

Diese Angst haben alle Künstler. Ich gehe relativ entspannt damit um. Das Einzige, was ich machen kann, ist, hart zu arbeiten, Disziplin zu wahren. Ich bin die Erste, die geht, und jene, die am längsten schläft, um am nächsten Tag wieder fit für die Arbeit zu sein.

Conchita fällt nicht aus der Rolle. Ist das im Konzept dieser Kunstfigur nicht vorgesehen?

Das ist im Konzept unser beider Leben nicht verankert. Ich wurde nicht so erzogen. Ich rege mich nicht so schnell auf. Meine Grundstimmung ist eine relativ gelassene. Ich bin einmal ausgezuckt, das war bei einer Veranstaltung, die drei Stunden gedauert hat und bei der es die Technik bis zum Ende nicht geschafft hat, das In-Ear-Problem zu beheben. Wobei Auszucken bedeutet, dass ich etwas lauter als sonst gesprochen habe.

Conchita trägt über dem Top von Marius Janusauskas einen Mantel von Burberry Prorsum.
Maria Ziegelböck

Manchmal wirken Sie, als ob Sie eine ganze Menge Medien- und Interview-Trainings hinter sich hätten.

Wenn jemand behauptet, mich für Interviews trainiert zu haben, dann lügt dieser Mensch. Ich habe in meinem Leben auch nicht mehr als drei Gesangsstunden genommen.

In den vergangenen Wochen hat man Conchita öfters in sehr klassischen Outfits gesehen – weiße Blusen, Bleistiftröcke, schwarze Hosen. Das gab’s früher nicht, oder?

Ich bin verliebt in Mode, ich will mich auch modisch weiterentwickeln. Ich liebe es, dezent gekleidet zu sein, aber immer noch eine Frau mit Bart zu sein. Ich mag es sehr körperbetont, aber ich muss nicht zu viel Haut zeigen. Ich würde nie darauf verzichten, sexy zu sein. Und das kann man in einem Bleistiftrock verdammt gut.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann die Kunstfigur Conchita zu beerdigen beziehungsweise eine neue entstehen zu lassen?

Derzeit würde ich sagen: Nein. Aber ich will es auch nicht ausschließen, man weiß ja nie, was passieren kann. Vielleicht habe ich mit vierzig keine Lust mehr, in High Heels herumzuwackeln. Derzeit würde ich nichts ändern wollen. Nur eines vielleicht: meinen Look weiter zu perfektionieren.

Was genau?

Ich hätte gern wieder einmal neue Haare. Derzeit habe ich sieben Perücken, in Verwendung sind aber nur zwei.