In der Türkei hat am frühen Sonntag morgen der erwartete neue Schlag gegen Regierungsgegner begonnen. Polizisten nahmen zunächst den Direktor des regierungskritischen Fernsehsenders Samanyolu, Hidayet Karaca, sowie zwei Produzenten des Senders fest. Auch der Chefredakteur der großen Tageszeitung Zaman, Ekrem Dumanli, wurde bereits abgeführt.

Polizeibeamte führen den Chefredakteur der Tageszeitung Zaman gegen Mittag aus dem Redaktionsgebäude in Istanbul, begeleitet von Protestrufen der Kollegen.
Zaman TV

"Ich warte, angezogen und gekämmt wie für einen Feiertag", twitterte Dumanli kurz vor zehn Uhr am Morgen. Hunderte von Sympathisanten und Angestellte sind derzeit vor dem Redaktionsgebäude von Zaman im Istanbuler Stadtteil Yenibosna, unweit des Atatürk-Flughafens. Die Protestierenden versuchten am frühen Morgen, eine Hausdurchsuchung und weitere Festnahmen durch ein Polizeikommando zu verhindern.

Pläne auf Twitter angekündigt

Es wird erwartet, dass die Verhaftungen landesweit im Lauf des Sonntag und der nächsten Woche weitergehen. Bis elf Uhr türkischer Zeit meldete der Nachrichtensender CNN Türk bereits 32 Festnahmen in elf Provinzen. Ein Twitterschreiber, der das Pseudonym Fuat Avni benutzt und behauptet, im engen Kreis um Staatschef Tayyip Erdogan zu arbeiten, hatte angebliche Pläne für eine neue Verhaftungswelle enthüllt, die sich dieses Mal gegen missliebige Journalisten und Unternehmer richten soll.

Avnis Informationen hatten sich bereits in der Vergangenheit immer wieder als richtig erwiesen. Den Behörden ist es bisher nicht gelungen, seine Identität aufzudecken. Avni kündigte dieses Mal 400 Verhaftungen an, darunter auch die von Zaman-Chefredakteur Dumanli, der besonders Erdogans Gegnerschaft auf sich gezogen hat, sowie des Kolumnisten Mehmet Baransu, der unter anderem immer wieder über Spitzelaktionen des Geheimdiensts MIT im Land schrieb.

Jahrestag der Korruptionsaffäre

Am Mittwoch, dem 17. Dezember, jährt sich der Beginn der Korruptionsaffäre der Regierung des damaligen Premiers und heutigen Staatschefs Erdogan. Der hatte vergangenen Freitag seine Anschuldigungen gegen das angebliche "parallele Netzwerk" im Staat auf eine neue Spitze getrieben: "Die Anklage gegen mich war bereit", sagte Erdogan in einer Rede vor Vertretern der türkischen Industrie- und Handelskammern.

Die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen in Justiz und Polizei hätten im Dezember vergangenen Jahres seine Regierung stürzen wollen. Sogar eine neue Kabinettsliste sei bereit gewesen, so sei nun herausgekommen. Gülen und seine Anhänger hatten jahrelang die konservativ-islamische Regierung Erdogans unterstützt, die nach Wahlen 2002 die Macht in der Türkei übernahm.

Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte ausgetauscht

Die Tageszeitung Zaman, der Sender Samanyolu und eine Reihe weiterer Medien werden ebenfalls Gülen zugerechnet. Die Korrputionsermittlungen gegen Erdogans damalige Regierung und Geschäftsmänner in deren Umfeld, darunter auch seinen jüngeren Sohn Bilal, sind mittlerweile gestoppt worden. Tausende Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte wurden ausgetauscht. Nun geht der Staat offenbar auch gegen die Journalisten und Unternehmer vor, die der Regierung nicht loyal genug gegenüber stehen. (Markus Bernath aus Istanbul, derStandard.at, 14.12.2014)