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Helmuth Lohner, 1933–2015.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Helmuth Lohner war als Hofreiter (in Schnitzlers "Das weite Land", 1994) ein Sir von klirrender Kälte.

Foto: Regine Hendrich

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Als Valmont in Müllers "Quartett" (2014, rechts mit Elisabeth Trissenaar) war dieser Jahrhundertschauspieler schmal und geistesgegenwärtig.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

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Als "Dennis Johnson" 2008 in Lionel Goldsteins "Halpern & Johnson" in den Wiener Kammerspielen.

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Wien – Sein höchstes Gut war die Sprödigkeit. Man hat den Schauspieler Helmuth Lohner, geboren am 24. April 1933, in fast allen großen Rollen der Dramenliteratur erleben dürfen. Der Sohn eines Wiener Schlossers machte als Hofmannsthals "Schwieriger" wie als Nestroy-Komiker dieselbe widerspenstige Figur. Als Antriebsstoff standen ihm Unmengen an Galle zur Verfügung.

Dieses typisch Wienerische Elixier schien in seinem Fall nur unendlich fein gefiltert. Galle war mit Blick auf diesen Nervenkünstler der köstlichste Saft der Welt. Lohner widerstand als Bühnenschauspieler eisern dem fatalen Hang zur Versöhnlichkeit. Auch darin war er ein typischer Wiener, freilich keiner, mit dem man die Zutraulichkeit hätte pflegen können, die hierorts die Spezies der Publikumslieblinge ausmacht.

Video: Helmuth Lohner in "Kampl" von Johann Nestroy.
HOANZL

Aristokratisch würde man ihn gerne nennen. Doch Lohner, der gelernte Chemigraphiker, besann sich mindestens genauso gut auf die plebejischen Wurzeln jeder Widerspenstigkeit. Als plumper Aufrührer war er zu sublim. Als reiner Melancholiker war er zu komisch. Als Hochkomiker – etwa in seinen hinreißenden Nestroy-Rollen – war er zu scharf und zu bitter. Und so saß Lohner, der in seiner Jugend, wenn es nötig war, auch einmal den Operettenbuffo gab, zwischen allen Stühlen. Dieser denkbar unbequeme Ort war dank seiner die exponierteste Stelle, die das Theater seinen Höchstbegabungen anzubieten hat.

Artist voller Geheimnisse

Dabei schien Lohner, diesem skrupulösen Schwerarbeiter, alles federleicht zuzufliegen. Ab 1953, also mit 20 Jahren, gehörte er für eine entscheidende erste Dekade dem Ensemble des Wiener Josefstadt-Theaters an. Man konnte diesen grandios zwielichtigen, stets sein Geheimnis bewahrenden Darstellungsartisten aber auch nicht anleinen. Lohner eilte in die weite Welt hinaus. Er nahm Engagements in Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf oder Zürich an. Er blieb ein spindeldürrer Nörgler, der die Rohheit der Halbwelt zu sublimieren verstand (so als Alfred in Geschichten aus dem Wiener Wald) und den Charme eines verkrüppelten Königs (Richard III.) zur intellektuellen Sensation erhob.

Auf seine zahlreichen Salzburger Festspiel-Engagements datiert seine Freundschaft mit Otto Schenk zurück. Die beiden erkannten instinktiv am jeweiligen Gegenüber den notwendigen Antipoden. Als Jedermann auf dem Domplatz (ab 1990) setzte Lohner das Sterben des reichen Mannes nicht länger dem Verdacht der Frömmelei aus, sondern balancierte auf dem schmalen Hochgrat zwischen Stolz und Lebensüberdruss. Wenn in Theater-Österreich – neben solchen Ausnahmegestalten wie Klaus Maria Brandauer oder Walter Schmidinger – jemals der Anspruch auf Modernität gestellt werden durfte, dann von Lohner.

Modern war sein Trotta in der Michael-Kehlmann-Verfilmung von Radetzkymarsch (1965). Scharf war noch sein Einspruch gegen die Zumutungen des Alters, als er den Al Lewis in den Sonny Boys gab.

Video: Helmuth Lohner und Otto Schenk 1999 in "Sonny Boys".
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Helmuth Lohner war ein aufopferungsvoller Josefstadt-Direktor (ab 1997). Als erster Kopf des Hauses spielte er allabendlich Repertoire, zog die Fäden – und ersann berührende, ja erschütternde Figuren. Lohner war Österreicher, insofern ihm jedes Auftrumpfen fremd war. Der Anspruch auf künstlerisches Gelingen stand für ihn unter einer Art von Generalverdacht. Seine Komiker waren unrettbar, weil den Figuren, die Lohner spielte, das Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit von klein auf eingeimpft war.

Eiserne Disziplin

Darüber vergisst man, dass selbst ein notorisch so zurückhaltender Mensch wie Helmuth Lohner ein Privatleben führte, das auf allgemeineres Interesse stieß. Seinen Ehen mit den Schauspielerinnen Susanne Cramer und Karin Baal entstammten zwei Töchter. Weitere Lebensabschnittsehen verbanden ihn mit der Journalistin Ricarda Reinisch und, zuletzt, mit Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler.

In letzter Zeit begegnete Lohner seiner lebensgefährlichen Krankheit mit der eisernen Disziplin, die auch manche seiner untröstlichen Figuren auszeichnete. Seine letzte Rolle war der Valmont in Quartett, Heiner Müllers rhetorischer Umschrift der Gefährlichen Liebschaften. Lohner gab ihn an der Seite von Elisabeth Trissenaar als Hades-Figur, böse, unversöhnt und entsetzlich berührend.

Mit Lohner ist jetzt, in den Morgenstunden des 23. Juni 2015, ein völlig singulärer Künstler 82-jährig verstorben, ein feinnerviger Mensch, ein kluger Regisseur, ein zu jeder Verwandlung befähigter Proteus. Einen solchen Verlust pflegt man völlig zu Recht unersetzlich zu nennen. (Ronald Pohl, 23.6.2015)