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Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jens Büttne

Überraschende Ereignisse ziehen einen recht berechenbaren Ablauf nach sich: Der Phase der totalen Verblüffung folgt die Frage nach dem "Warum?". Die Ankündigung, dass Google sich mit Alphabet einen neuen Mutterkonzern zulegt, kann geradezu prototypisch dafür stehen: Die Tech-Presse scheint praktisch unisono unvorbereitet von dieser Meldung getroffen worden zu sein, bei vielen Kommentatoren reagierte insofern zunächst einmal Ratlosigkeit.

Alles beim Alten?

Dies mag auch daran liegen, dass sich im Alltagsgeschäft zunächst wenig ändert: Der Aufbau von Alphabet entspricht weitgehend dem, wie Google zuletzt bereits geführt wurde. Die Gründer Page und Brin kümmern sich als Alphabet-Chefs um die langfristigen Projekte des Konzerns während Sundar Pichai als neuer Google-CEO für praktisch das gesamte Alltagsgeschäft zuständig ist – von der Suchmaschine über die Werbung bis zu Android und Chrome. All diese Bereiche verantwortete er schon zuletzt als Produktchef. Nur Youtube ist neu hinzugekommen, wobei die Videoplattform mit Susan Wojcicki weiter eine eigene Chefin hat, die nun statt an Page an Pichai Bericht erstattet. Selbst die Finanzchefin Ruth Porat soll für beide Unternehmen zuständig sein.

Ausblick

Die Antwort auf die Frage, warum man nicht einfach die bisherige Struktur beibehalten hat, ist insofern nur mit einem Blick auf die mittel- bis langfristige Perspektive zu beantworten. Page will all den Unterfangen jenseits des Google-Kerngeschäfts mehr Raum geben, sich unabhängig entfalten zu können. Damit will man nicht zuletzt verhindern, dass Google zu einem behäbigen Koloss wird, bei dem sich die einzelnen Abteilungen gegenseitig im Weg stehen – wie es bei so vielen großen IT-Firmen in der Vergangenheit passiert ist. Die Unabhängigkeit soll also auch die Innovation befördern – und zwar sowohl bei den ausgelagerten Unterfangen wie auch beim verschlankten Google selbst.

Eric Schmidt, Larry Page und Sergey Brin (v.l.n.r.) – das bisherige Google-Führungstrio wechselt geschlossen zu Alphabet.
Foto: Google

Transparenz

Die neue Struktur bedeutet allerdings auch, dass all die von Google getrennten Abteilungen eigene CEOs bekommen, und sich unabhängig von Google beweisen müssen. Der letzte Punkt ist wohl auch jener, der den Märkten an der aktuellen Ankündigung am besten gefallen wird: Bedeutet dies doch, dass es künftig zumindest etwas mehr Transparenz darüber geben wird, was all die "Moonshots" kosten. (Spoiler: viel) Immerhin werden Alphabet und Google künftig getrennte Geschäftszahlen vermelden. Auch wenn die anderen Abteilungen hier nicht einzeln ausgewiesen werden sollen, wird so doch zumindest zum Teil langjährigen Forderungen von Investoren nachgekommen.

Gelddruckmaschine

Bei all dem ist klar: Der Goldesel wird zunächst weiter die Google-Werbung bleiben, die in den letzten Jahren praktisch im Alleingang für die Einnahmen des Unternehmens verantwortlich zeichnete. Mittelfristig könnte dies hingegen etwas anders aussehen: Die neue Struktur gibt Projekten jenseits des bisherigen Kerngeschäfts die Möglichkeit, sich separat zu entfalten. Insofern sollte sich die Überraschung in Grenzen halten, wenn Alphabet in Zukunft offensiv in bislang eher als Hobby oder Experiment betrachtete Bereiche einsteigt. Vorstellbar wäre etwa der Aufbau eines Herstellers für selbstfahrende Autos oder auch die Verschmelzung von Project Fi, Google Fiber und den Ballonplänen des Project Loon zu einem globalen Internetanbieter. Wo Google bislang oftmals betonte, dass man sich rein auf die Forschung konzentrieren wolle, um dann das Projekt für die Marktreife an Partner weiterzureichen, könnte künftig rasch eine neue Alphabet-Abteilung entstehen, die sich selbst um die Kommerzialisierung kümmert.

Gleichzeitig könnte Alphabet die neue Struktur auch dazu nützen, offensiver einzelne Abteilungen jenseits der Google-Interessen zu kaufen – oder umgekehrt natürlich Projekte, an denen man das Interesse verloren hat, wieder abzustoßen, ohne das Kerngeschäft zu berühren.

Jede Menge neue CEOs

Ein für das Unternehmen positiver Nebeneffekt der neuen Struktur ist, dass auf diese Weise jede Menge neue CEO-Posten geschaffen werden. Damit kann man einige Manager im Konzern halten, die sich sonst wohl früher oder später nach neuen Aufgaben umgesehen hätten. Gerade der neue Google-Chef Sundar Pichai soll in den letzten Jahren zahlreiche Angebote von anderen Unternehmen erhalten haben. So war er etwa kurzfristig sogar als neuer CEO für Microsoft im Gespräch.

Pichai

Apropos Pichai: Dessen weiterer Aufstieg wird von den Kommentatoren praktisch unisono begrüßt, was auch nicht sonderlich verwundern darf. Wer sich in der Branche umhört, wird kaum jemanden finden, der keine lobenden Worte für den Neo-CEO von Google findet. Auch Google-intern erfreut sich Pichai aufgrund seiner Zugänglichkeit aber auch seines großen Sachverstands hoher Beliebtheit.

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Der neue starke Mann bei Google: Sundar Pichai steigt zum CEO auf.
Foto: Jeff Chiu / AP

Vorgeschichte

Auch wenn die Reorganisation von Google unter dem Dach von Alphabet für Außenstehende überraschend war, soll sie doch bereits länger in Planung gewesen sein. Laut einem Bericht von Businessinsider soll Page ähnliche Ideen bereits vor vier Jahren intern zur Sprache gebracht haben.

Als Vorbild soll übrigens Warren Buffets Berkshire Hathaway gedient haben. In dem Konglomerat sind eine Vielzahl unterschiedlicher Firmen versammelt, die weitgehend autonom agieren können. Schon in der Vergangenheit hatte Page betont, dass er nach einer neuen Firmenstrukturen sucht, und dem Ansatz von Buffet am ehesten etwa abgewinnen kann.

EU?

Eine im Gefolge der Alphabet-Ankündigung immer wieder aufgeworfene Frage ist, welche Auswirkung die Reorganisation auf die Untersuchungen der EU hat. Die Antwort ist simpel: Keine. Alle Bereiche, die aktuell im Fokus der Kartellwächter stehen, werden auch künftig innerhalb von Google angesiedelt sein. Gleichzeitig ist allerdings davon auszugehen, dass die Kommission jegliche weiteren Expansionspläne von Alphabet äußerst kritisch beäugen wird. (Andreas Proschofsky, 11.8.2015)