Deutschland hat zwar derzeit beeindruckende Arbeitsmarktzahlen, Österreich muss deshalb aber nicht gleich Hartz IV abkupfern, wie Finanzminister Hans Jörg Schelling das suggeriert. Hinsichtlich der Höhe sind Hartz IV und die heimische Mindestsicherung durchaus vergleichbar, zumindest grosso modo. Wenn man sehr günstig wohnt, bekommt man wohl in Österreich mehr, wenn das nicht der Fall ist, fällt wohl Hartz IV höher aus.

Was aber noch viel schwerer wiegt: Das deutsche Modell ist wesentlich stärker auf Misstrauen gegenüber den eigenen Bürgern aufgebaut. Der Staat schickt mitunter seine Mitarbeiter in die Wohnungen der Hilfsbedürftigen, um zu überprüfen, ob deren Angaben auch korrekt waren. 800 Euro im Monat rechtfertigen einen derartigen Eingriff in die Privatsphäre aber nicht. So ein Spitzelmodell muss man nicht kopieren. Wer seinen Arbeitsplatz verloren hat, ist in aller Regel ohnehin bereits mit sozialem oder selbst auferlegtem Druck konfrontiert.

Die zweite wesentliche Änderung, die Hartz IV brachte: Der Druck auf die Arbeitnehmer, auch Jobs deutlich unter ihrem Qualifikationsniveau anzunehmen, wurde massiv ausgeweitet. Seither boomt der Niedriglohnsektor in Deutschland wie in kaum einem anderen Land. Viele Menschen haben zwar Arbeit, können davon aber nicht leben, sodass sie erst recht wieder auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Auch das ist nichts, was man in Österreich kopieren sollte. Es ist auch umstritten, ob die Hartz-Reformen wirklich einen großen Anteil am deutschen Wirtschaftsaufschwung haben. Viele Ökonomen führen den Boom vor allem auf die niedrigen Lohnabschlüsse, die Deutschland über Jahre auszeichneten, zurück.

All das heißt aber nicht, dass man in Österreich nichts verbessern könnte. Kein Mensch versteht, warum auch nach der Einführung der Mindestsicherung noch immer verschiedene Stellen für deren Abwicklung zuständig sind – das AMS auf der einen Seite, die Landesstellen auf der anderen. Ein schlanker Staat sieht anders aus. Dieses Kompetenz-Wirrwarr führt dazu, dass die Datenlage bei der Mindestsicherung bis heute dürr ist.

Das Problem ist auch nicht die Höhe der Sozialleistung. Von 827,83 Euro für Alleinstehende beziehungsweise 1.241,74 Euro für Paare kann niemand in Saus und Braus leben. Wie AMS-Chef Johannes Kopf bereits wiederholt betont hat, kann es aber bei Paaren mit zwei oder drei Kindern, die schlecht ausgebildet sind, mitunter schwer werden, einen Job zu finden, der deutlich mehr bringt als die staatliche Leistung.

Dieses Problem kann man durchaus angehen, etwa indem man die Zuverdienstmöglichkeiten lockert oder einen Teil der Mindestsicherung auch nach der Annahme eines Jobangebots weiterlaufen lässt. Dafür braucht es aber keine Neiddebatte, für die sich die ÖVP offenbar entschieden hat. Was es aber dringend bräuchte, wäre die Umsetzung der vor Jahren versprochenen Transparenzdatenbank.

Da es auf Landes- und Kommunalebene oft noch zusätzliche Förderprogramme gibt, fehlt hier tatsächlich der Durchblick, ob nicht derselbe Sachverhalt doppelt oder dreifach gefördert wird. Die kürzlich begonnenen Verhandlungen um einen neuen Finanzausgleich wären eine gute Möglichkeit, Tempo zu machen. Man wird Schelling daran messen müssen, ob er damit bei den Ländern – nicht zuletzt den schwarzen – erfolgreich ist. (Günther Oswald, 26.7.2015)