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Die Gesellschaften im Osten, hier Polen, sind ebenso wenig homogen wie im Westen. Neben Demos, die Flüchtlinge willkommen hießen, ...

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... gab und gibt es auch die Flüchtlingsgegner. Hier bei einer Demonstration in Warschau, die sich gegen EU-Pläne richtete, etwa 7.000 Flüchtlinge in Polen unterzubringen.

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Ein Beitrag aus dem Forum zur Semesterfrage: Wie verändert Migration Europa?

Seit einem halben Jahr kennt EU-Europa einen neuen Osten und mit ihm eine neue Kategorie von Bürgern, die "Osteuropäer". Entstanden sind diese Begriffe in der emotionalisierten Debatte über den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen. Verwendet werden sie von Politik und Medien in Deutschland und Österreich. Dieses "Osteuropa" ist das düstere Gegenstück zu einem – vermeintlich – menschlicheren, weltoffeneren, liberaleren Westen. An diese Feststellung knüpften sich bald auch Forderungen nach Sanktionen gegen jene EU-Länder, die einer primär von Deutschland getragenen Migrationspolitik nicht folgten. Gerügt aber wurde nicht etwa Dänemark, sondern Ungarn und Polen, also nur der Osten, nicht der Norden Europas. Wie konnte es dazu kommen?

Was bedeutet das für Europa?

Emotionalisierte ideologische Konstrukte, dazu gehört auch die Willkommenskultur, benötigen auch ein Gegenstück, das der Gemeinschaftsbildung durch Ab- und auch Ausgrenzung dient. Das neue Feindbild wurde in einer beschleunigten politischen Dynamik geschaffen, die von mangelhafter Abstimmung grundlegender europapolitischer Entscheidungen und starker politischer Positionierung wichtiger Medien gekennzeichnet war. Dabei wurden – bemerkenswerterweise vor allem von der politischen Linken – wenig aufgearbeitete Vorurteile und Ängste gegenüber einem diffus als anders und bedrohlich wahrgenommenen Osten mobilisiert.

Zu erklären ist diese von Emotionen wie Ignoranz geprägte Konstruktion des Ostens mit einem selektiven und verkürzten Blick auf grundlegende Probleme der EU.

Fünf Beobachtungen zum Osten

Gern wird ein Gefälle sogenannter europäischer Werte zwischen Westen und Osten diagnostiziert. Dabei handelt es sich um einen paternalistischen Blick aus dem Westen. Dieser verstand die Integration der neuen Mitgliedsstaaten als einseitigen, primär politisch-ökonomischen Anpassungsprozess. Für regionale kulturell-historische Erfahrungen bestand in westlichen Medien und der Politik kaum Interesse. Umso größer ist die Überraschung, wenn im Osten eigene Positionen formuliert werden.

Zweitens wird übersehen, dass in allen Staaten des sogenannten Ostens heftige gesellschaftliche Debatten stattfinden. Politisch und kulturell homogen sind die dortigen Gesellschaften keineswegs.

Drittens verdeckt die Konstruktion eines "Osteuropa" in der EU, dass in Europa allgemein gültige und unbestrittene kulturelle Normen nicht wirklich bestehen. Die Willkommenskultur etwa stößt auch in Skandinavien, Frankreich und Großbritannien auf Ablehnung. Doch wird gegen diese Länder keine Stimmung gemacht, offenbar weil sie entweder politisch zu mächtig sind oder als kulturell näher empfunden werden. Auch gesellschaftspolitisch steht in Europa kein fortschrittlicher Westen gegen einen ethnonationalen rückständigen Osten – die Pariser Massendemonstrationen gegen die "Ehe für alle" 2013 belegen dies exemplarisch. Nationale Separatismen sind in Schottland und Katalonien politisch virulenter als in Osteuropa.

Vielfältige Motive für Kritik

Viertens ist Kritik an einzelnen Regierungen – zum Beispiel an Ungarn und Polen – auf europäischer Ebene oft von Parteiinteressen bestimmt und daher nicht immer konsequent und glaubwürdig. Sozialdemokraten, die Ungarns konservativen Premier kritisierten, schonten gleichzeitig die sozialistische Oligarchenregierung im rumänischen Bukarest.

Fünftens ist zu beobachten, dass Osteuropa als Feindbild in der EU auch wieder an Bedeutung verliert, da etwa Österreich mittlerweile mit den zuvor kritisierten Staaten zusammenarbeitet.

Die freigesetzten Feindbilder werden nicht so rasch wieder verschwinden. Einer wegen des russischen Drucks labilen Region zwischen Baltikum und Schwarzem Meer wurde fahrlässig ihr europäischer Charakter abgesprochen. Statt mit Argumenten wurde mit Emotionen Politik gemacht. In einer auch innenpolitisch wahrzunehmenden Unfähigkeit zur kontroversen, aber fairen demokratischen Debatte reagierten wichtige Teile der deutschen und österreichischen Regierungen und Medien mit ausgrenzender Überheblichkeit. Dies wird legitime Kritik an Partnerregierungen künftig nicht erleichtern. (Oliver Schmitt, 6.4.2016)