Andreas Babler
Andreas Babler in heikler Mission: Er will die SPÖ auf links trimmen und muss dabei das heiße Asylthema anpacken.
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Im Wienerischen gibt es ein wunderbares Sprachbild für den Ratschlag, sich nicht weiter aufzuregen: "nur kane Wön". In diesem Sinne versucht die SPÖ seit Jahren das heikle Thema Migration und Integration kalmierend zu umschiffen, um nur ja keine innerparteilichen Wellen zu erzeugen.

Zwei Lager

Doch unter der Oberfläche bleibt ein Spalt, der die Partei in zwei Lager trennt. Auf der einen Seite die linke Fraktion, die sich der humanistischen Grundhaltung, Flüchtenden Schutz zu bieten, verpflichtet fühlt. Gegenüber das andere Lager, das die Zuwanderung auch als destabilisierenden Faktor in unserer liberal-demokratischen, offenen Gesellschaft sieht und kulturelle Fundamente in Gefahr wähnt – vor allem durch muslimische Zuwanderer.

Mit ihrem "Asyl-Grundsatzpapier" versuchten die beiden Antipoden in diesen Fragen, Burgenlands SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil und Kärntens Parteivorsitzender Peter Kaiser, 2018 einen Kompromiss für die Partei in Sachen Zuwanderung und Integration zu formulieren, mit dem beide Lager leben können. In der Präambel des Manifestes wurde festgehalten: Integration vor Zuzug und ein klares Bekenntnis zu den Menschenrechten.

Wolkige Position

In den Ausführungen ist hier für alle etwas dabei: "Stopp der unkontrollierten Migration, Schaffung von legalen Fluchtmöglichkeiten in UNHCR-konformen Verfahrenszentren nahe den Herkunftsregionen, effiziente und Standardisierte Asylverfahren, europäische Seenotrettungsmissionen und die Verhandlung von Rückführungsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern unter Wahrung der Grund- und Menschenrechte."

Die Kernpunkte des Asylpapiers von 2018, das seinerzeit vom Parteivorstand beschlossen worden ist, wurden jetzt auch in groben Zügen in die Leitlinien für den Parteitag aufgenommen. Aber wie schon im "Kaiser-Dosko-Asylpapier": Die SPÖ-Position zu den Themen Asyl und Zuwanderung bleibt auch in den Leitanträgen für den Parteitag in Graz in der praktischen Ausformulierung weiter wolkig.

"Ich sage seit Jahren, dass wir einen restriktiven Kurs in der Frage der Migration einnehmen müssen." Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer

Natürlich sei das auch ein Kompromiss, um die Parteilinien zusammenzubringen, sagte stellvertretende Klubvorsitzende Julia Herr kürzlich im Ö1-Journal. "Unsere Positionierung zum Thema Asyl und Integration ist klar, wir haben als einzige Partei ein Positionspapier. Und an dem werden wir auch weiterhin festhalten." Es gebe aber momentan wichtigere Themen, so Herr sinngemäß.

Da könnte sie sich täuschen. Wenn die Parteiführung die Debatte kleinhält, die Problematik minimalisiert und immer wieder nur auf das "Kaiser-Dosko-Papier" verweist, wird das auf Dauer nicht reichen – auch nicht auf dem Parteitag. Denn innerparteilich bleibt die SPÖ in dieser zentralen gesellschaftspolitischen Frage verunsichert.

"Muss mit Babler reden"

Der steirische SPÖ-Chef Anton Lang etwa, sonst sehr zurückhaltend bei innerparteilichen Diskussionen, will endlich klare Grenzen sehen. In einem Gespräch mit der Steirerkrone meinte der Landeshauptmann-Vize kürzlich auf die Frage, ob er die Forderung nach legalen Fluchtrouten, die auch Babler propagiert, unterstütze: "Ich muss erst mit ihm sprechen, was er damit meint." Lang bekräftigte, dass er dagegen sei, "dass man unsere Grenzen aufmacht, denn das hat uns schon 2015 sehr geschadet".

Hans Peter Doskozil wiederum glaubt zwar, dass das "Kaiser-Doskozil-Papier" zur Migration durchaus noch Geltung habe, er könne aber nicht ausschließen, dass das Papier beim Bundesparteitag, dem er wegen "Verpflichtungen am burgenländischen Landesfeiertag" fernbleiben wird, "in der einen oder anderen Facette" ausgehebelt werde.

Er habe nämlich bemerkt, dass jetzt in den Leitanträgen nicht mehr die Rede davon sei, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen in Verfahrenszentren nahe den Herkunftsregionen zu errichten. In der SPÖ heißt es dazu, das sei ohnehin im Asylpapier festgehalten und so seinerzeit im Vorstand beschlossen worden.

Aufgabe abgeben

Dennoch gibt’s auch in diesem zentralen Punkt offenbar neuen Diskussionsbedarf. Der Wiener Stadtrat Peter Hacker etwa bekräftigt im STANDARD-Interview, dass er sehr wohl weiter und gerne auch detailreicher über das Thema reden wolle: "Wir haben in unserem Grundsatzdokument beschlossen, dass Asylverfahren starten sollten, bevor sich die Menschen auf die Reise machen." Ob das unbedingt an der EU-Außengrenze sein muss, sei die Frage. Er könne sich unter "Asylzentren" nicht wirklich etwas vorstellen. "Mein Vorschlag wäre: Legen wir diese Aufgabe in die Hände der österreichischen Botschaften in den Herkunftsländern und in den Staaten dazwischen. Hier könnte auch entschieden werden, ob es sich um einen echten Asylantrag handelt oder ob es um Zuwanderung geht", sagte Hacker.

Vor allem der auch hierzulande steigende Antisemitismus seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel mache ihm Sorgen: "Was sich teilweise hier bei propalästinensischen Demonstrationen abspielt und auch abseits davon, ist komplett inakzeptabel. Natürlich muss es hier scharfe Reaktionen geben, natürlich zeigen sich hier Integrationsdefizite. Aber ich muss schon auch betonen: Das hat uns alles die ÖVP eingebrockt."

Keine Floskeln mehr

Ob eingebrockt oder nicht: Babler wird wohl nicht umhinkönnen, am Parteitag unmissverständlich darzulegen, was er und die SPÖ über Zuwanderung, Asyl und Integration zu sagen haben – ohne dabei die alten Floskeln zu bedienen.

Die Parteitagsregie wird zwar versuchen mit den großen SPÖ-Themenblöcken Teuerung, Pflege, Gesundheitsversorgung und mit viel Rhetorik gegen "die da oben" den Asylkomplex wieder zu umschiffen, um eine hohe Zustimmung zu erhalten. Babler wird den Genossinnen und Genossen aber Orientierung geben und den Weg skizzieren müssen, wohin er die österreichische Sozialdemokratie führen will, wo die Partei ihre Position in der Migrationsfrage beziehen wird.

Darauf weist ihn auch der Tiroler SPÖ-Chef und Landeshauptmannvize Georg Dornauer hin. "Solange wir nicht beim Thema Migration und Integration eine klare, für alle nachvollziehbare Linie fahren, werden wir mit den anderen wichtigen SPÖ-Forderungen im Bereich der Gesundheit, Arbeitsmarkt, Verteilungsgerechtigkeit nicht durchkommen und reüssieren", warnt Dornauer im STANDARDGespräch.

Asylpapier evaluieren

Es gehe nicht darum, das "Kaiser-Dosko-Papier" aufzuweichen, es sei aber notwendig, es angesichts der aktuellen Entwicklungen und Krisen zu evaluieren. Es werde sicher zu Ergänzungen am Parteitag kommen, ist Dornauer überzeugt.

"Ich sage seit Jahren, dass wir einen restriktiven Kurs in der Frage der Migration einnehmen müssen. Aktuell geht es zum Beispiel auch darum, Anti-Israel-Demonstrationen zu untersagen. Wir sehen uns mit einem neuen importierten, muslimischen Antisemitismus konfrontiert. Das gefährdet unsere Gesellschaft", sagt der Tiroler SP-Chef.

Klare Worte

Klare Worte will auch der Leobner Bürgermeister Kurt Wallner – deklariertes Mitglied des ehemaligen "Teams Dosko" – hören. Er pflege zum Thema Migration einen "sehr pragmatischen Zugang", sagt der Bürgermeister der obersteirischen Industriestadt und fügt hinzu: "Undifferenziert alle hereinlassen ist naiv." Er spreche im Sinne vieler an der Basis in den Ländern, betont Wallner. "Zuwanderer müssen auch bereit sein, unsere Werte anzuerkennen."

Beim Parteitag in Graz wird Wallner seine Position aber nicht vertreten. Er sei verhindert – so wie sein Parteifreund Doskozil.

Wallner und Doskozil dürften nicht die Einzigen sein, die an diesem Samstag zu Hause bleiben. Viele stimmten mit den Forderungen etwa nach einer 32-Stunden-Woche oder den legalen Fluchtrouten nicht überein, wollten dies aber am Parteitag nicht thematisieren. "Andi Babler soll eine Chance bekommen", sagt ein roter Länderpolitiker, der anonym bleiben möchte. (Walter Müller, 11.11.2023)