Babler am Parteitag
Erst ein Jubelschrei, dann kamen die Freudentränen: Der große Einsatz beim Versuch, die Doskozil-Anhänger an Bord zu holen, hat sich für Babler vorerst einmal gelohnt.
Heribert Corn

Was gemeinsames Mutfassen auf einem ausgedehnten Parteitag alles bewirken kann: Eben noch in einen potenziell existenzbedrohenden Führungskampf verstrickt, wähnen sich die Sozialdemokraten bereits wieder auf der Überholspur. Bei der Europawahl im Juni des nächsten Jahres gehe es nicht nur um die Geschicke der EU, proklamierte Spitzenkandidat Andreas Schieder am dritten und letzten Tag des roten Großevents: Auf der Agenda stehe auch, "den ersten Schritt zum Einläuten des Endes dieser Bundesregierung zu machen".

Zu nichts weniger als einer demokratiepolitischen Notwendigkeit erklärte Schieder einen Sieg der SPÖ. Denn das Problem mit einer unfähigen Regierung sei, dass Menschen das Vertrauen in das politische System verlieren würden. So öffne sich das Einfallstor für rechtsextreme und populistische Parteien.

Viel Aufwand für den Tag X

Grund zur Widerrede fanden die meisten Delegierten nicht: Sie bestätigten Schieder mit 89,9 Prozent der Stimmen auf Platz eins der Wahlliste, hinter ihm rangiert Evelyn Regner (96,9 Prozent), die ebenfalls bereits jetzt im Europaparlament sitzt. Der Pakt der Geschlossenheit hielt im Obergeschoß der Grazer Messehalle bis zum Schluss.

Das schien vor dem roten Stelldichein keinesfalls sicher. Viele Wunden hatte das monatelange, chaotische Gerangel um den Vorsitz in der SPÖ aufgerissen. Enttäuschte Anhänger des unterlegenen Hans Peter Doskozil hätten den Parteitag als Gelegenheit nützen können, um Frust abzuladen.

Um das zu verhindern, hat der bei der Kampfabstimmung im Juni gegen Doskozil siegreiche Andreas Babler investiert. Unzählige Kilometer spulte der bürgermeisterlich geschulte Traiskirchner ab, um Genossinnen und Genossen österreichweit zu begeistern. In der Nacht vor dem entscheidenden Auftritt am Samstag arbeitete er bis vier Uhr früh durch, um seine Rede noch einmal umzubauen.

Die 88,76 Prozent Zustimmung, die ihm die Delegierten am Samstag gewährten, empfindet Babler als großen Lohn. Kaum war das Ergebnis verkündet, brach die Erleichterung in Form von Tränen durch.

Suche nach Dissidenten

Wer denn die gut zehn Prozent waren, die Babler nicht gewählt haben? Die Burgenländer wollen es nicht gewesen sein. Er halte es für bedauerlich, dass kein Neuner vor dem Ergebnis gestanden ist, sagt ein Delegierter aus dem östlichsten Bundesland, der nicht namentlich genannt werden will. Denn die "Streichungen" würden nun der Doskozil-Fraktion zugerechnet – zu Unrecht: "Ich lege die Hand ins Feuer, dass alle Delegierten aus dem Burgenland Babler gewählt haben."

Wer dann die Gefolgschaft versagt habe? "Mit Sicherheit ein Teil der Wiener, die auch schon Pamela Rendi-Wagner gestrichen haben."

Dass Journalisten zuallererst bei den Burgenländern nachfragen, liegt auf der Hand. Landeshauptmann Doskozil war nicht nur im Juni gegen Babler unterlegen, er glänzte am Wochenende auch mit Abwesenheit – der burgenländische Landesfeiertag Martini am 11. November ging vor. Außerdem lagen die Doskozilianer zuletzt wegen der Zusammenstellung der Liste für die EU-Wahl mit der Bundespartei im Clinch. Ihr Kandidat Norbert Darabos hatte keinen Platz erlangt, der den Einzug ins Europaparlament verspricht. Also nominierten die Burgenländer gleich gar niemanden.

Aber auch der Verweis auf die Wiener ist nicht aus der Luft gegriffen. Landeschef und Bürgermeister Michael Ludwig hatte gegen Bablers Reform des Parteistatuts, wonach SPÖ-Vorsitzende künftig von den Mitgliedern und nicht von den Delegierten gewählt werden, opponiert. In der Folge gab Ludwig seine Sitze in den Führungsgremien auf – um sich auf Wien zu konzentrieren, wie er sagte. Einen Zusammenhang mit dem Konflikt dementierte er.

Auf dem Parteitag schloss sich der oberste Wiener Sozialdemokrat dem Tenor an. "Nach all den Monaten der Diskussionen war das für ihn und die ganze Partei befreiend", kommentierte Ludwig Bablers Ergebnis bei der Wahl. Das Treffen in Graz werde der SPÖ "sicher einen Schub geben".

Das erwartet auch der Salzburger Landesparteichef David Egger, der sich seinerzeit für Doskozil stark gemacht hat. Dazu stehe er bis heute, erklärt er, "aber ich habe auch immer gesagt, dass ich demokratische Entscheidungen mittrage. Wer gewinnt, der hat unsere hundertprozentige Zustimmung und Unterstützung." Die SPÖ brauche jedenfalls "alle Flügel", um zu reüssieren. Graz sei ein "großer Schritt zur Geschlossenheit" gewesen, ein "Vereinigungsparteitag 2.0".

So war es ein Außenseiter, der als einziger coram publico Widerspruch artikulierte. Bablers Pläne für eine Arbeitszeitverkürzung seien für Kleinunternehmer "nicht zu stemmen", deponierte Thomas Schaden, Vertreter des sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands in Niederösterreich, auf der Bühne: Er selbst müsste dann einen von zehn Mitarbeitern des eigenen Betriebs schweren Herzens abbauen. Applaus erntete Schaden dennoch, wohl für seinen Mut.

Babler entdeckt die EU

Was abseits der in Leitanträgen verpackten Positionen von Jobgarantie über Kindergrundsicherung bis zur Preisbremse in der Verfassung noch zu hören war: mehrfache Bekenntnisse gegen Antisemitismus. Die Angriffe der Hamas seien kein Aufbegehren gegen die Besatzung des Westjordanlandes durch Israel oder die dortige rechtsgerichtete Regierung, sagte Schieder: Diese Taten würden von purem Hass auf das jüdische Volk getragen, das Leid der Palästinenser sei die Lebensgrundlage der Hamas.

Angesichts des drohenden Flächenbrands stelle sich die Frage, warum Europa im Gegensatz zur US-Politik beschämend abwesend sei: "Wo ist die gemeinsame europäische Außenpolitik, die unsere Werte verteidigt und vertritt?"

Babler, der EU einst feindlich gesinnt, steuerte zur Europafrage betont Positives bei: "Die EU ist, wenn man sie richtig denkt, ein sozialdemokratisches Projekt: eine Vision, dass die Gemeinschaft stärker ist als der Einzelne." (Gerald John, 12.11.2023)