Babler im Interview
Hat die Linke Integrationsprobleme ausgeblendet, um der FPÖ ja nicht recht zu geben? Babler spielt den Ball weiter: Die ÖVP habe die Polizei ausgehungert und Integration schleifen gelassen.
Heribert Corn

Der Parteitag am vergangenen Wochenende war für manche in Andreas Bablers Umfeld eine Premiere. Zum ersten Mal habe sie den Chef sprachlos erlebt, erzählt eine Mitarbeiterin. Die Rede verschlagen hat es ihm angesichts der 88,76 Prozent bei seiner Wiederwahl durch die Genossinnen und Genossen – vor Freude. Doch wer den Traiskirchener Bürgermeister kennt, weiß: So ein Zustand kann bei ihm nicht lange währen. Die Diskussion über seine Parteitagsansagen wickelt Babler im STANDARD-Interview im gewohnt rasanten Sprechtempo ab.

STANDARD: Kampagnenartig, mit voller Härte, sei Schlamm von sogenannten Experten, Kommentatoren, Analysten auf Sie eingeprasselt, haben Sie am Beginn Ihrer Parteitagsrede beklagt. Ist gegen die SPÖ eine Verschwörung im Gange?

Babler: Nein. Es ist nur so, dass ich bei manchen Einschätzungen von Expertinnen und Experten im Fernsehen gar nicht gewusst habe, von welcher Partei sie überhaupt sprechen. Aber das geht in der Politik eh allen so.

STANDARD: Es klang so, als wollten Sie nach FPÖ-Manier eine bestimmte Stimmung aufbauen. Motto: Die Mächtigen sind gegen uns.

Babler: Das ist nicht mein Weg. Wer mich politisch kennt, weiß mit Sicherheit, dass ich ein Gegenmodell vertrete. Im Unterschied zu anderen wollen wir uns die Medien nicht mit Drohungen oder Inseraten gefügig machen. Die SPÖ tritt für einen gesetzlich abgesicherten Journalismus ein.

STANDARD: Wenn wir schon bei Gegenstimmen sind: Setze die SPÖ die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich um, müsse er einen Mitarbeiter kündigen, sagte der SPÖ-Unternehmervertreter Thomas Schaden auf dem Parteitag. Was können Sie zu seiner Beruhigung sagen?

Babler: Dass unser Konzept Arbeitnehmerrechte mit einer vorteilhaften Situation für Betriebe verbindet. Einige Großunternehmen in Österreich zeigen es bereits vor: Verkürzt sich die Arbeitszeit, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufriedener. Die Krankenstände sinken, die Produktivität steigt.

STANDARD: Das kann in der Industrie funktionieren. Eine Pflegerin aber kann kaum produktiver werden, um die höheren Lohnkosten pro Stunde zu kompensieren.

Babler: In der Pflege müssen wir das Personal ohnehin massiv aufstocken, da sind sich alle einig. Will man dafür Menschen finden und dann im Job halten, müssen wir die Bedingungen verbessern. Nicht zufällig fordern die Personalvertreter gerade dort kürzere Arbeitszeiten: Pflegekräfte brauchen einfach mehr Zeit zum Durchschnaufen und die Gewissheit, am Wochenende einmal nicht einspringen zu müssen. Der Druck ist zuletzt stark gestiegen, das Gleiche gilt für die Polizei.

STANDARD: Die öffentliche Hand mag das bezahlen können. Aber was tut der kleine Friseur?

Babler: Der kann sich zum Beispiel helfen, indem er mit mehr Personal längere Öffnungszeiten anbietet. Bei der letzten Arbeitszeitverkürzung in den Siebzigerjahren hat kein einziger Friseur zugesperrt. Die Sozialpartner sollen das Branche für Branche ausverhandeln, die Politik muss den Prozess unterstützen. Darum wollen wir ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt. Wir lassen niemanden allein.

Babler im Aufzug
Babler im Aufzug der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße: In der SPÖ gehe es immer nur aufwärts, witzelt er.
Corn

STANDARD: Österreich habe eine Periode der Abrissbirne hinter sich, behaupten Sie. Abgesehen von der zusammengestrichenen Mindestsicherung: Wo sehen Sie diesen Sozialabbau?

Babler: Denken Sie an die Einführung des Zwölfstundentages unter Schwarz-Blau oder an die Zerschlagung der Sozialversicherung. Jetzt haben dort jene Vertreter die Mehrheit, die nicht die Arbeitnehmerrechte stärken. Die Menschen spüren die Folgen, indem sie nicht mehr rechtzeitig Arzttermine bekommen.

STANDARD: Die Kassenreform ist sicher kritikwürdig, hat aber nichts mit den Engpässen in der Gesundheitsversorgung zu tun. Diese leidet unter keinem Sparkurs, sondern unter Personalmangel und Untauglichkeiten im System. Hat da nicht gerade auch die SPÖ, die seit 2000 öfter als jede andere Partei das Gesundheitsministerium besetzt hat, viel verschlafen?

Babler: Die Zerschlagungen haben unter ÖVP und FPÖ stattgefunden. Es macht einen Unterschied, wer mit welchen Prioritäten in der Gesundheitskasse die Geschäfte führt. Wer krank ist, muss die Garantie haben, ordentlich behandelt zu werden: Darauf braucht es einen Rechtsanspruch.

STANDARD: Gerade in dem seit Jahrzehnten von der SPÖ regierten Wien beklagen Spitalsärzte einen Qualitätsverlust. Daran kann nicht die schwarz-blaue Kassenreform schuld sein.

Babler: Schon auch, im System hängt alles zusammen. Fehlen Ärzte im niedergelassenen Bereich, schlägt sich das in mehr Zulauf in die Spitäler nieder. Wien übernimmt überdies die Versorgung für das Umland.

STANDARD: Die Regierung bastelt an einer Gesundheitsreform, die jenen Ausbau von Kassenarztstellen bringen soll, den die SPÖ fordert. Ziehen Sie da am selben Strang?

Babler: Das kommt darauf an, wie konkret die Reform ausfällt. Bis jetzt höre ich nur Ankündigungen – mit immer anderen Zahlen. Für eine Schmähblase bin ich nicht zu haben.

STANDARD: Die Koalition will dabei auch die Ärztekammer entmachten, die als Blockiererin gilt. Ist das keine Unterstützung wert?

Babler: Ich definiere Politik nicht über Begriffe wie Entmachtung.

STANDARD: Das war mein Wording. Anders gefragt: Soll die Kammer Einfluss verlieren?

Babler: Grundsätzlich muss man mit den Ärztinnen und Ärzten denken – nicht gegen sie.

Babler
Tee trinken, aber nicht nur abwarten: Für die Wahl will sich Babler auch mit dem Input von Fachleuten außerhalb der Partei rüsten.
Heribert Corn

STANDARD: Anderes Reizthema: "Wir wollen keine Leute, die für die Scharia und ein Kalifat schreien", sagten Sie auf dem Parteitag. Knüpfen Sie daran eine konkrete politische Forderung?

Babler: Die Sozialdemokratie ist die Kraft, die in diesem Land immer auf der Seite der Demokratie gestanden ist. Wir sind das Gegenmodell zu jenen, die Frauenrechte beschneiden wollen und demokratische Grundstrukturen angreifen. Wo der Rechtsstaat gefährdet ist, muss die Exekutive mit allen gesetzlichen Mitteln einschreiten. Dafür braucht sie mehr Ressourcen, doch tatsächlich wird die Polizei zunehmend ausgehungert. Das sind die Resultate von zwei Jahrzehnten ÖVP-Verantwortung für das Innenministerium. Die Vorgeschichte des Terroranschlags von Wien zeigt: Eine schlagkräftige Polizei hätte gegen diese Gefahr wirksamer vorgehen können.

STANDARD: Damit wird es nicht getan sein. Antisemitismus und islamistisches Gehabe seien unter muslimischen Schülern verbreitet, berichten Lehrer. Viele Familien seien nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt der Lehrergewerkschafter Thomas Bulant, ein Sozialdemokrat. Was ist Ihre Antwort auf diesen Befund?

Babler: Volle Härte gegen jene, die sich gegen die Demokratie stellen, aber volle Integrationsmöglichkeiten für alle anderen. Man kann nicht alle Hilfen zurückfahren, wie das die Regierung Kurz beim Integrationsjahr getan hat, und dann die Folgen skandalieren. Das Innenministerium treibt großen Aufwand, um gut integrierte Familien beinhart abzuschieben, obwohl Arbeitskräfte dringend gesucht werden. Doch es gibt niemanden, der die Kids vor dem Einfluss radikaler Islamisten bewahrt.

STANDARD: In Wien, wo sich Integrationsprobleme besonders zeigen, regiert aber die SPÖ. Hat die Linke die Schattenseiten nicht häufig ausgeblendet, um nur ja nicht der FPÖ recht zu geben?

Babler: Da fühle ich mich nicht angesprochen. In Traiskirchen war der Zuzug immer groß, nicht nur durch Flucht, sondern auch durch Arbeitsmigration. Bereits mein Großvater ist mit Menschen aus der Türkei und dem damaligen Jugoslawien an der Werkbank gestanden. Als Bürgermeister habe ich nie negiert, dass Integration eine Aufgabe ist, die Probleme mit sich bringt – doch es ist gelungen, diese ohne großen Ärger zu lösen. In erster Linie ist Integration aber schon Bundessache. Es ist falsch, mit dem Finger auf Städte wie Wien zu zeigen, die natürlich Ballungsräume sind.

STANDARD: Womöglich übersteigt die große Zahl an Flüchtlingen irgendwann die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft. Soll der Zugang zu Asyl eingeschränkt werden?

Babler: Ob jemand Asyl bekommt, ist eine rechtliche Entscheidung – das kann man nicht einschränken, wenn ein Fluchtgrund vorliegt. Doch es braucht ein besseres Management, wie etwa verlässliche Standards und eine Verteilung innerhalb der EU. Wo die SPÖ aber nicht mitmacht, ist der Generalverdacht: Menschen dürfen nicht aufgrund einer Religionszugehörigkeit problematisiert werden. Viele Muslime stehen mitten in der Gesellschaft, manche schon seit Jahrzehnten. Diese Leute halten dieses Radl in Österreich mit am Laufen, von der Pflegearbeit bis zur Schwerindustrie.

STANDARD: Die SPÖ brauche mehr Breite, haben Sie gesagt. Wie soll sich das ausdrücken?

Babler: Phase eins war, der SPÖ nach zweieinhalb schwierigen Jahren wieder Leidenschaft, Herzblut und Einigkeit zu geben. Mit Expertinnen und Experten, die nicht alle aus der Sozialdemokratie stammen, will ich mich nun an ein Programm für die Wahl machen – und so in die Richtung Bruno Kreiskys gehen. (Gerald John, 17.11.2023)