Der SPÖ-Abgeordnete und Bürgermeister Andreas Kollross hat zwischen den Feiertagen Vergewaltigungsscherze gemacht. Und hält sich trotz zahlreicher Rücktrittsaufforderungen noch in seinen Ämtern. Die SPÖ versucht durchzutauchen.
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Es war ein Donnerstagabend, drei Tage vor Silvester. Andreas Kollross, Nationalratsabgeordneter der SPÖ und Bürgermeister der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Trumau, ledig, sitzt alleine vor dem Fernseher und schaut "Braveheart". Der böse englische Sheriff in dem Film kann bei Frischvermählten das "ius primae noctis", das Recht auf die erste Nacht, beanspruchen. Ein englischer Soldat versucht die junge Frau von Wallace, dem schottischen Titelhelden, gespielt von Mel Gibson, zu vergewaltigen. Ein Rachedrama startet. In Trumau greift Bürgermeister Kollross zum Handy und schreibt eine Nachricht auf Facebook, von der er glaubt, dass sie lustig ist: "Weil gerade Braveheart läuft, eine kurze Frage. Kann man eigentlich mittels Gemeinderatsbeschluss so ein „ius primae noctis" für den Bürgermeister beschließen lassen? Frage nur aus Interesse. Keinerlei Eigeninteresse natürlich ; - )))“

Kollross ahnt wohl schon, dass der Vergewaltigungsscherz nach hinten losgehen könnte, und so fügt er noch als PS hinzu: "Sollte dies jemand lesen, der/die gerne im Keller lacht, es handelt sich hierbei um einen Joke auf Basis kurzfristiger Langeweile."

Seitdem hagelt es Rücktrittsaufforderungen von allen Seiten. Nur nicht aus der SPÖ, seiner eigenen Partei. Kollross selbst hat das Posting am nächsten Tag gelöscht, und er hat sich dafür entschuldigt. Seitens seiner Partei wurde er zurechtgewiesen, es gab wohl mehrere Gespräche mit ihm, die angeblich auch scharf geführt wurden. Parteichef Andreas Babler und SPÖ-Frauensprecherin Eva Maria Holzleitner verurteilten das Posting, stellten wohl auch Konsequenzen in den Raum, sprachen einen Rücktritt aber nicht an. Kollross spendete schließlich für eine Frauenorganisation.

Die SPÖ, so die offizielle Sprachregelung, habe die Entschuldigung von Kollross akzeptiert. Damit sollte die Geschichte beendet sein. Ist sie aber nicht.

Täglich rückt von Grünen, FPÖ oder ÖVP jemand anderer aus, um das Posting, die "Vergewaltigungsfantasien" von Kollross, zu thematisieren und seinen Rücktritt zu fordern. Am Mittwoch etwa veröffentlichte die Junge ÖVP Niederösterreich einen offenen Brief an den niederösterreichischen SPÖ-Chef und Landesrat Sven Hergovich, in dem sich gleich 22 Unterzeichner entsetzt und zutiefst bestürzt zeigen. Eine Entschuldigung reiche nicht aus: Kollross müsse zurücktreten. Hergovich müsse handeln. Zuvor hatte Frauenministerin Susanne Raab im "Kurier" einen Kommentar veröffentlicht. Durch Kollross öffentlichen Aussagen würden "Opfer von sexueller Gewalt auf das Widerlichste verhöhnt und Frauen erniedrigt". Kollross möge zurücktreten. Ähnlich die freiheitliche Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch: Kollross habe sich mit seinem geschmacklosen Posting für jedes politische Amt disqualifiziert. Er soll daher seinen Posten zur Verfügung stellen.

Die grüne Frauensprecherin Meri Disoski zeigt sich im Gespräch mit dem STANDARD schockiert und fassungslos, nicht nur über die "Gewaltfantasien" von Kollross, sondern auch darüber, dass dieses Verhalten in der SPÖ ohne Konsequenzen bleibt. "Was für ein Frauenbild vertritt denn die SPÖ? Da geht es um Frauen als immer verfügbare Sexualobjekte, die man sich auch gegen ihren Willen mit Gewalt nehmen darf." Disoski will nicht zur Kenntnis nehmen, dass SPÖ-Chef Babler keine Konsequenz zieht. "Offensichtlich hat die SPÖ ihren Feminismus wieder an den Nagel gehängt." Die SPÖ sei mittlerweile wieder eine Partei streng in Männerhand, sie verliere ihre Glaubwürdigkeit in der Frauenpolitik. Selbstverständlich müsse Kollross zurücktreten.

Wer ist dieser Kollross eigentlich? Einschlägig bekannt und gefürchtet? Kollross fiel bisher nie durch herabwürdigende oder frauenfeindliche Aussagen auf, er versuchte eher, sich als feingeistiger und belesener Intellektueller darzustellen, er postet auf Twitter regelmäßig Literaturempfehlungen und hat selbst ein Buch geschrieben: "Erwachen: in einer anderen Welt", ein autobiografischer Roman. Auf Facebook postet der Bürgermeister Fotos von seinem Kater, sonst matcht er sich mit Christian Kern in Fußballfragen.

"Ich habe einen Fehler gemacht", sagt Kollross im Gespräch mit dem STANDARD, "dazu stehe ich. Ich habe mich entschuldigt." Was in ihn gefahren sei, könne er heute gar nicht mehr erklären. "Das war ein dummes Posting, einfach unsensibel." Wenn es nach ihm ginge, werde er nicht zurücktreten. Aber letztlich sei das nicht seine Entscheidung, sondern die der Partei.

Es gehe längst nicht mehr um ihn, findet Kollross. Der ÖVP gehe es jetzt darum, seinen Landesparteichef Sven Hergovich zu beschädigen. Die Angriffe der ÖVP seien weder sehr überraschend noch sonderlich glaubwürdig, sagt Kollross.

Ein Schwergewicht in der Partei

Kollross, der nach außen hin nicht sonderlich bekannt ist, ist parteiintern jedenfalls eine große Nummer. Ein Schwergewicht, eine mächtige Figur im Hintergrund. In Trumau, das zum Bezirk Baden gehört, erreicht er 2015 mit 75 Prozent das beste Ergebnis für die SPÖ, die Anzahl der Vorzugsstimmen war beachtlich. Die Gemeinde Trumau hat aber keine 4000 Einwohner, daher darf der Bürgermeister laut dem Parteistatut auch ein Nationalratsmandat haben. Kollross, gelernter Elektroinstallateur, ist im Nationalrat Mitglied im Klubpräsidium und Bereichssprecher für kommunale Angelegenheiten, Petitionen und Bürgerinitiativen. Nebenbei ist er noch Landesvorsitzender der Kinderfreunde und Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Gemeindevertreter*innenverbands.

Wenn man sich in der Partei umhört, so wird Kollross durchwegs geschätzt. Dass er kurz vor Silvester so entgleist ist, stößt bei Genossinnen und Genossen auf Unverständnis. Ein Sexist oder Chauvinist sei er nie gewesen. Oder auch: "Ein Dodl ist er nicht." Der "Andi" sei jedenfalls "einer von den Guten", heißt es in der Partei. Vielleicht hätten ihm die einsamen Tage über Weihnachten auf die eine oder andere Weise zugesetzt. Die Partei stehe jedenfalls hinter ihm. Was ihm in der SPÖ zugutegehalten wird: Kollross habe in seinem eigenen Wirkungsbereich einiges im Frauen- und Kinderschutz weitergebracht. Er habe dazu beigetragen, das Frauenhaus in Mödling zu ermöglichen und einiges mehr. Sollte er beim nächsten Präsidium noch im Amt sein, werde er sich dort aber auch formell entschuldigen müssen. Besonders bei den Frauen.

Kollross ist jedenfalls zu einer Belastung für die SPÖ geworden, was die anderen Parteien genüsslich zelebrieren. Derzeit scheint Durchtauchen und Abwarten die Strategie bei den Roten zu sein. Wirklich saublöd sei sein Posting gewesen, sagt eine Kollegin, aber er habe es eingesehen und zeige Reue. Letztendlich liege die Entscheidung beim Landesparteichef oder, wenn es weiter hochkocht, bei Andreas Babler, dem Bundesparteichef. Der findet den Vorfall sehr ärgerlich, will sich sonst derzeit aber nicht dazu äußern. Nur ja keinen Wind machen. Durchtauchen ist die Devise. Und Hände weg vom Handy beim Fernsehen. (Michael Völker, 4.1.2024)