Babler am Parteitag
Genossinnen und Genossen grüßt Andreas Babler gerne mit geballter Faust. Doch in seinen Forderungen schlägt sich das Revoluzzer-Image nicht unbedingt nieder.
Heribert Corn

Einen Linksruck: Diesen Move schreiben viele Kommentatoren SPÖ-Chef Andreas Babler zu, und auch mancher unzufriedener Genosse kommt offenbar zu diesem Schluss. Zumindest forderte Tirols Parteichef Georg Dornauer im STANDARD-Interview eben einen Kurswechsel in Richtung "pragmatische Mitte". Der rote Chefgewerkschafter Josef Muchitsch hatte sich in der "Kleinen Zeitung" sinngemäß ähnlich geäußert.

Hat der Bürgermeister aus Traiskirchen die Sozialdemokraten tatsächlich in die ihm nachgesagte Richtung geführt? Ein Blick auf Positionen und Posen des 51-Jährigen gibt Aufschluss.

Vermögenssteuer: Der Ruf nach einer Besteuerung von Vermögen und Erbschaften zählt zu den zentralen Forderungen der SPÖ-Spitze – allerdings nicht erst seit Bablers Amtsübernahme im vergangenen Juni. Bereits sein des Linkssektierertums unverdächtiger Vor-Vor-Vorgänger Werner Faymann hat für das Anliegen kampagnisiert, fortan blieb die "Reichensteuer" stets Parteilinie. Es lässt sich auch nicht behaupten, dass Babler die Pläne rundum verschärft hat. Sein Konzept sieht zwar saftigere Steuersätze für besonders hohe Vermögen vor. Doch gleichzeitig ließ er eine großzügige Freigrenze für Eigenheimbesitzer sowie eine umfassende Ausnahme für vererbte Unternehmen einbauen. Geht es nach Volkes Stimme, dann ist die Idee längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Umfragen weisen mehrheitlichen Rückhalt aus.

32-Stunden-Woche: Auch dieses Lieblingsprojekt hat nicht Babler für die SPÖ entdeckt – schlag nach bei Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner. Wie in den Beschlüssen des Parteitages vom November nachzulesen ist, will er die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auch nicht von heute auf morgen quer über alle Branchen gesetzlich verordnen. Stattdessen schweben ihm Pilotprojekte vor, die Sozialpartner sollen Schritt für Schritt aushandeln.

Flüchtlingspolitik: Zu Beginn schien es, als wollte Babler tatsächlich am in der SPÖ gültigen Maßstab rütteln. Doch aus der angekündigten Überarbeitung des roten Asyl- und Migrationskonzepts, das die Landeshauptleute Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil vor seiner Zeit erstellt hatten, ist nichts geworden. Seither argumentiert der Parteichef auf Basis ebenjenes Papiers. Das gilt auch für eine Idee, die vor dem Parteitag als Signal für einen Kurswechsel gehandelt wurde: Die Schaffung von Verfahrenszentren an der EU-Außengrenze, um dank legaler Fluchtmöglichkeiten die unkontrollierte Migration zu stoppen, ist seit 2018 SPÖ-Position. Eine Obergrenze für Asylanträge, wie sie Doskozil nun gefordert hat, vertritt Babler allerdings nicht.

Arbeit und Soziales: Auch hier dominiert sozialdemokratischer Mainstream. Ob Kindergrundsicherung, Beschäftigungsprogramme gegen die Arbeitslosigkeit oder die Festschreibung des gesetzlichen Pensionssystems in der Verfassung – Babler entwickelt weiter, was die SPÖ grundsätzlich stets vertreten hat.

Gendern: Im STANDARD nannte Dornauer den Kampf für das Gendersternchen, das Gleichberechtigung in der Schriftsprache durchsetzen soll, als Beispiel für die Abgehobenheit der SPÖ: Diese Debatte sei "da draußen" niemandem zu erklären. Tatsächlich ist der umstrittene Kunstgriff auf Betreiben der roten Frauenorganisation sozusagen geltendes Recht in der Partei. Mit dem Mann an der Spitze hat das allerdings herzlich wenig zu tun. Soweit überblickbar, hat Babler dieses Reizthema bisher kein einziges Mal angesprochen. Als Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer eine Art Genderverbot in der Verwaltung ankündigte, stieg die SPÖ bewusst nicht in diese – so das Wording – "absurde und peinliche" Debatte ein.

Koalitionsabsage: Mit dieser ÖVP nicht – diese Antwort hat Babler immer wieder auf die Frage nach einem etwaigen Regierungspartner nach der nächsten Wahl gegeben. Beleg für einen Linksruck? Nur dann, wenn man die politikerübliche Doppelbödigkeit der Aussage überhört. Denn die Betonung, dass sich die Kanzlerpartei in ihrem derzeitigen Zustand selbst ausschließe, impliziert die Möglichkeit einer Läuterung. So schlecht sollen die Kontakte zwischen Rot und Schwarz hinter den Kulissen gar nicht sein – ist aus der ÖVP zu hören. Eine deutlichere Absage an die große Koalition hat jener Rivale im Kampf um die Parteispitze deponiert, der im Gegensatz zu Babler als Signal an die Mitte galt: Hans Peter Doskozil.

Habitus: Von der erhobenen Faust zum Gruß bis zum berüchtigten Bekenntnis zum Marxismus, vom hemdsärmeligen Outfit bis zu den gern ausgebreiteten Anekdoten aus Arbeiterkindheitstagen: Von der Anmutung her hat der am linken Flügel der Parteijugend sozialisierte Babler den Sozialdemokraten tatsächlich einen Kurswechsel beschert. Altbekannten SPÖ-Slogans verpasst der passionierte Volksredner einen kämpferischen Anstrich. Spricht er von Stolz und Leidenschaft der Arbeiterbewegung, rührt das Herzen, die nicht nur anatomisch gesehen links angesiedelt sind.

Im Rennen um den Parteivorsitz war dieses Image Trumpf – im Wahlkampf könnte es zur Bürde werden. Soweit die Umfragen Aufschluss geben, fehlt Babler bisher jene Anziehungskraft auf bürgerliche Wählerinnen und Wähler, wie sie sein großes Vorbild Bruno Kreisky entfaltete. Bis zur Wahl bleibt mutmaßlich noch ein halbes Jahr, um entsprechende Angebote abseits des roten Pflichtprogramms zu präsentieren. (Gerald John, 27.2.2024)