Ungarn Magyar Proteste Budapest
Shootingstar der ungarischen Innenpolitik: Péter Magyar.
Foto: Reuters / Marton Monus

Ein Phänomen sei laut Duden "eine ungewöhnliche Erscheinung" oder auch "ein Mensch mit außergewöhnlichen Fähigkeiten". Beide Begriffe gelten für das, was in Ungarn derzeit geschieht. In drei Wochen (15., 26. März und 6. April) fanden in Budapest drei Massendemonstrationen statt, die am Samstag auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlamentsgebäude einen eindrucksvollen Höhepunkt erreicht haben. Insgesamt folgten in dieser kurzen Zeit wohl weit über hunderttausend Menschen, zuletzt sogar auch aus der Provinz, dem Aufruf des neuen politischen Stars, des vom Günstling des Regimes zum unerbittlichen Kritiker gewordenen Péter Magyar.

Der Jurist, Diplomat und Ex-Mann der ehemaligen Justizministerin Judit Varga schlug mit seinen Auftritten gegen Viktor Orbáns "Mafiastaat" seit dem Begnadigungsskandal wie ein Blitz aus heiterem Himmel in die verschlafene Innenpolitik ein. Selbst der angesehene regimekritische Publizist und Zeithistoriker András Bruck merkt an, er habe noch nie so etwas gesehen: "Überall spricht entweder Magyar, oder man spricht pro und kontra über ihn. Er brachte Hoffnung in die gelähmte Innenpolitik, mit ihm kehrte die Vitalität des Willens zurück (…) Es gibt berechtigte Zweifel und keine Garantie, aber es ist besser, etwas zu hoffen und höchstens von ihm enttäuscht zu werden, statt als Staatsbürger wie eine ewige Leiche zu sein."

Neuer Hoffnungsträger

In seiner Rede hat der neue, eloquente und politisch talentierte Hoffnungsträger wider Erwarten noch nicht den Namen seiner Liste für die EU-Wahlen im Juni bekanntgegeben. Magyar hatte aber überraschend neben Orbán auch gegen den Ex-Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány eine neue Front eröffnet. Mit seinem Angriff gegen das "seit 20 Jahren unveränderte Doppel Orbán/Gyurcsány" will er offensichtlich auch unzufriedene Anhänger der von Gyurcsány und dessen Frau Klára Dobrev geführten stärksten Oppositionspartei DK ebenso gewinnen wie hunderttausende Wechselwähler und Nichtwähler. Dieser geschickte Schachzug gegen Gyurcsány sollte zugleich seine Stellung als Vertreter einer nationalen und gemäßigt konservativen Mitte gegen "die alten Machteliten von rechts und links" stärken und die Schmutzkampagne des Medienapparats des Orbán-Regimes gegen den "von links gelenkten Verräter" lächerlich machen.

Laut unabhängigen Schätzungen liegt eine Magyar-Partei – die offiziell noch gar nicht existiert – bereits bei 15 bis 20 Prozent. Die Sudelkampagne der hochbezahlten Propagandisten des Regimes schadet der steigenden Popularität überhaupt nicht. Sie wirkt sogar als Bumerang.

Tiefe Krise

Die scharfen Angriffe eines reformierten Pastors als Redner bei der Massenkundgebung am Samstag gegen den noch immer amtierenden Orbán-Vertrauten und Ex-Minister Zoltán Balog als Bischof der reformierten Kirche zeigen die Tiefe der moralischen Krise einer heuchlerischen, aber durch und durch korrupten Gesellschaft. Nach 14 Jahren des Machtmissbrauchs erschien mit dem 43-jährigen Magyar endlich ein glaubwürdiger Anti-Orbán auf der politischen Bühne. Seine politische Zukunft ist ebenso offen wie seine persönliche Sicherheit. (Paul Lendvai, 9.4.2024)