Photovoltaik-Module Fabrik
Probleme bei Photovoltaikmodulen zu erkennen zählt zu den leichteren Aufgaben für Künstliche Intelligenz.
APA/AFP/STR

Der rasche weltweite Erfolg des Sprachmodells ChatGPT hat die Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz (KI) für immer verändert. Doch der Hype hat auch seine Schattenseiten. Denn in der breiten Masse steht das Chatprogramm mittlerweile synonym für KI im Allgemeinen und vice versa. Das ist aus mindestens zwei Gründen aber irreführend. Erstens sind maschinelles Lernen und dessen Anwendung in der Text- und Sprachgenerierung nur ein Teilaspekt von vielen innerhalb des großen Feldes der KI. Und zweitens gibt es neben der maschinellen Lerntechnologie, auf der ChatGPT basiert, noch andere Paradigmen maschinellen Lernens.

Einen solchen alternativen Ansatz verfolgt etwa das Projekt "Streaming AI", das im Rahmen des Forschungszentrums Pro2Future in Linz durchgeführt wird. Die Bezeichnung ist eine Wortkreation von Alois Ferscha, Leiter des Instituts für Pervasive Computing der Johannes-Kepler-Universität (JKU) sowie des Forschungszentrums Pro2Future. Er versteht darunter eine KI, die vor ihrem Einsatz nicht erst mit riesigen Datenmengen trainiert werden muss. Vielmehr lernt sie quasi im Betrieb, indem sie von ihrer Umgebung Informationen sammelt.

KI im ständigen Datenfluss

"Ich nenne es Streaming-AI, weil die mit Sensoren ausgestatteten Netzwerkknoten überall, wo sie gerade sind, Daten erheben, diese vorverarbeiten, daraus etwas ableiten und das Gelernte dann sofort an den nächsten Knoten weitergeben", erklärt Ferscha. Das dabei angewandte Prinzip nennt sich "Reinforcement Learning" und basiert auf der Idee, erwünschtes Verhalten zu belohnen und unerwünschtes Verhalten zu bestrafen. Das gilt in der humanen Kindeserziehung zwar heute als veraltet, für Künstliche Intelligenzen erweist es sich jedoch als überaus effektiv.

Eingesetzt werden kann derartige KI für die Optimierung von Industrieprozessen wie der Fertigung und dem Transport von Gütern oder Bauteilen sowie der Überwachung physikalischer Parameter. Ein Vorteil des Ansatzes ist der sparsame Umgang mit Ressourcen. Große Lernmodelle wie GPT benötigen zum Lernen neben potenter Hardware vor allem viel Zeit und viel Energie, was sie unter dem Kriterium der Nachhaltigkeit häufig der Kritik aussetzt. Ein weiterer Vorteil ist die Miniaturisierung. Die ökonomischen Lernalgorithmen laufen auf vergleichsweise bescheidener Hardware, die klein genug sein muss, dass sie in Gegenstände und Geräte überschaubaren Ausmaßes eingebaut werden kann.

Schweißen Stahl
Schweißmasken sollen künftig die Überforderung von Beschäftigten über deren Pupillenbewegungen erkennen.
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An solchen Systemen arbeiten Ferscha und seine Mitarbeiter seit mehreren Jahren und haben bereits etliche Prototypen vorgestellt und auch im Industriealltag getestet. So entwickelten sie etwa eine Schweißmaske, die anhand der Pupillenbewegung ihres Trägers oder ihrer Trägerin erkennt, ob Unterstützung bei der gerade zu bewältigenden Schweißaufgabe benötigt wird. Ein anderes Beispiel ist ein Akku-Schraubbohrer, dessen Drehmoment sich abhängig vom Materialwiderstand des Werkstücks diesem automatisch anpasst.

Oberösterreich investiert in KI

Das aktuelle, auf 18 Monate angelegte Projekt, das die mehrjährige Erfahrung der Linzer Forschenden konsolidiert, startete im Februar dieses Jahres und wird vom Land Oberösterreich als Baustein seiner Forschungsstrategie "Upper Vision 2030" beworben und gefördert. Erklärtes Ziel der Gesamtstrategie ist es, bis zum Ende des Jahrzehnts eine "Modellregion für Human-Centered Artificial Intelligence" zu werden – also für Künstliche Intelligenz, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Die KI-Forschung ist dem Bundesland einiges wert. Von 2019 bis 2026 sind fast 38 Millionen Euro aus dem Forschungs- und Wissenschaftsressort vorgesehen, wie der oberösterreichische Landesrat Markus Achleitner kürzlich bekanntgab.

Auch wenn in der industriellen Produktion viele Schritte bereits digitalisiert und automatisiert ablaufen und daher prädestiniert für den Einsatz von KI sind, gibt es auch viele Schnittstellen, wo Werkzeuge und Maschinen eben von Menschen bedient oder zumindest überwacht werden müssen. Pro2Future, das von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG im Rahmen des Comet-Programms gefördert wird, fungiert für Industrieunternehmen als wissenschaftlicher Partner. Fördermittel kommen unter anderem aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium.

System sauber aufsetzen

Im Rahmen des Streaming-AI-Projekts geht um Grundlagenarbeit. So gilt es, eine formal saubere Architektur für ein KI-System aufzusetzen, das dann im industriellen Kontext äußerst vielseitig eingesetzt werden kann. Anstatt eines einzelnen mächtigen Systems, wie man es etwa von ChatGPT kennt, geht es vielmehr um ein Netzwerk an kleinen Künstlichen Intelligenzen, die autonom agieren und voneinander unabhängig fungieren, aber sich im besten Fall dennoch austauschen können.

Diese "lokalen Kleinintelligenzen" nehmen über Sensoren Informationen aus ihrer Umwelt auf, lernen daraus und ziehen schließlich ihre Schlussfolgerungen, was letztlich konkrete Aktivitäten auslösen kann. So kann die KI etwa einen Alarm betätigen, ein Druckventil öffnen, die Temperatur einer Metallschmelze verändern oder ein autonom fahrendes Fahrzeug, das etwa in der Fabrikhalle Bauteile und andere Objekte durch die Gegend fährt, vor einem Hindernis – und sei es auch ein Mensch – zum Stoppen bringen.

Produktion Fabrik
Die Interaktion von Mensch und Maschine ist eine der größten Herausforderungen für KI in der Industrie.
REUTERS/Stephane Mahe

Der Fokus des Ansatzes liegt neben der Miniaturisierung der Bauteile sowie des skizzierten Lernprinzips auf der Vernetzung. Die Linzer Forschenden wollen dabei aber keine Kompromisse machen. "Man könnte die Informationen zentral an einer Stelle sammeln, dort verarbeiten und sie wieder an die jeweiligen Akteure im Netzwerk zurückschicken", erklärt Ferscha. "Aber das ist intellektuell nicht so sportlich." Vielmehr wolle man die Informationen "radikal" im Sinne eines Peer-to-Peer-Netzwerks verteilen, in dem die jeweiligen Netzwerk-Akteure sich bi- und multilateral austauschen.

Von der Theorie in die Praxis

Was sehr theoretisch und abstrakt klingt, soll in der Praxis in mehreren Schwierigkeitsstufen erprobt werden. In Stufe eins geht es um das Erkennen und Weitergeben von Softwarefehlern in Wechselrichtern, die eine Schlüsselkomponente von Photovoltaikanlagen sind. Dazu wird eine fixe Anzahl an intelligenten Knoten verbaut, die miteinander kommunizieren. In Schritt zwei ist die Anzahl der intelligenten Systeme immer noch fix vorgegeben, sie können sich aber mobil bewegen und miteinander interagieren, was die Sache ungleich komplexer macht. Beispiele dafür sind fahrerlose Transportsysteme, die Teile in einer Halle zwischen Lager und Produktion hin- und herbewegen.

Die dritte und komplexeste Stufe sieht vor, dass das ganze System wie ein Organismus funktioniert. Einzelne Knoten können dynamisch hinzukommen oder je nach Einsatzort oder Arbeitsaufgabe auch wieder verschwinden, die Gesamtanzahl ist also zu jeder Zeit variabel. "Die Kommunikationsprotokolle, die man dafür entwickeln muss, sind alles andere als trivial. Aber auch dieser Aufgabe wollen wir uns stellen", sagt Ferscha. (Raimund Lang, 10.5.2024)