Gustav Klimts Studie
Gustav Klimts Studie "Halbbildnis einer Frau mit Hand an der Stirn" diente als Skizze für ein Deckengemälde im Theater von Fiume, dem heutigen Rijeka.
Städtische Versicherung AG – Vienna Insurance Group, Vienna

Warum sammeln Firmen Kunst? Wohl weil sich damit viele Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen: Es geht um Prestige und Distinktionsgewinn, man poliert das Image und positioniert sich als Förderer junger Kreativer. Es geht aber ganz profan auch um die Ausstattung von Büroräumlichkeiten, die eine anständige Firma von Welt schließlich nicht mit Kunstdrucken aus dem Möbelhaus zupflastern will. Und natürlich ist Kunst ein recht wertstabiles Investment, so man nicht auf die Berg-und-Tal-Fahrt von digitalen NFTs gesetzt hat.

Diesbezüglich kann bei der Sammlung der Wiener Städtischen Versicherung Entwarnung gegeben werden. Das, was in der Ausstellung Unknown Familiars im Wiener Leopold-Museum zu sehen ist, folgt weitestgehend handfesten Kriterien wie guter alter Malerei. 200 Werke haben die Kuratoren Philippe Batka und Vanessa Joan Müller aus tausenden ausgewählt, ein repräsentativer Querschnitt nicht nur durch die Wiener Sammlung, auch durch die tschechische sowie die jüngeren serbischen und lettischen Kollektionen der Partnerunternehmen.

Kunstschaffende mit Wien-Bezug

200 Jahre hat die Wiener Städtische bereits auf dem Buckel, seit fast hundert Jahren wird gesammelt, bis heute setzt das Unternehmen standorttreu auf Lokalkolorit. Investiert wird in Kunst von Menschen mit Wien-Bezug. Seit der Gründung des Leopold-Museums im Jahr 2001 ist die Versicherung dessen wichtigste Sponsorin und eine der Dauerleihgeberinnen. Zum Firmenjubiläum überlässt das Haus im Museumsquartier der Sammlung nun ein ganzes Stockwerk. Unknown Familiars ("Unbekannte Verwandte") heißt die Schau, weil die Sammlungen der Vienna Insurance Group erstmals zusammen zu sehen sind.

Thematischer Faden zieht sich keiner durch, Saaltexte wurden bewusst weggelassen, das freie Assoziieren und Flanieren durch die vier Großräume rund um das Atrium soll gefördert werden, und ja, man muss schon sagen: Auch einmal angenehm, keinen Text lesen zu müssen, sondern einfach schauen zu dürfen.

Es sind nun zwar nicht unbedingt die großen Quotenbringer, die man sieht, aber doch lassen sich ganz spannende (Wieder-)Entdeckungen machen. Auf der Zeitachse reicht die Schau vom Fin de Siècle bis in die Gegenwart, von Gustav Klimts Studie für ein Deckengemälde in Fiume (1884) bis zu Barbara Kapustas fünf Meter hohem Mural A New Fiery Community (2022) im Atrium.

Kubismus, Expressionismus, Gegenwart

Stilistisch durchwandert man den Kubismus von Antonin Procházka und Maria Szeni, hält bei den unterschiedlichen Expressionismen von Herbert Boeckl (Erzberg III, 1948), Oswald Oberhuber (Mund, Zähne, Kopf, 1966) oder Oskar Kokoschka (Anschluss – Alice im Wunderland, 1942) und landet beispielsweise bei Judith Fegerls Wandinstallation last light: Eine gewitzte Arbeit von 2021, in der die Künstlerin ausrangierte Solarpaneele mit ihrer unterschiedlichen, technisch bedingten Musterung zu einem Readymade-Bild arrangiert.

Judith Fegerls Wandinstallation
Judith Fegerls Wandinstallation "last light" (2021) setzt sich aus ausrangierten Solarpaneelen zusammen.
Wiener Städtische/Jorit Aust/Bildrecht Wien

Gut dazu passen könnte die mit düsterer Kathedralen-Ornamentik spielende Kohlezeichnung Der leuchtende Gedanke (1922) von Fritzi Nechansky-Stolz. Wie viele andere oft vom misogynen Zeitgeist geschasste Künstlerinnen der Wiener Moderne müsste auch sie dem Vergessen entrissen werden. Die Werke aus der auf die Avantgarde der 1970er-Jahre fokussierten serbischen Sammlung wiederum zeigen, wie sehr die Künstlerinnen und Künstler im ehemaligen Jugoslawien am westlichen Puls der Zeit agierten, auch wenn sie erst heute international wahrgenommen werden.

Soshiro Matsubaras Wandleuchten zitieren den Jugendstil und vermengen ihn mit Fantasy-Motiven.
Soshiro Matsubaras Wandleuchten zitieren den Jugendstil und vermengen ihn mit Fantasy-Motiven.
Wiener Städtische Versicherung AG/Jorit Aust

Schön zu sehen auch, wie sich die Gegenwartskunst vergangener Epochen bemächtigt und sie im neuen Gewand präsentiert: Der in Wien lebende japanische Künstler Soshiro Matsubara etwa greift in seinen fragilen Zeichnungen und Skulpturen den immerhin vom Japonismus beeinflussten Jugendstil auf und vermischt diesen mit Fantasy-Anmutung, wie man sie aus der Welt der Videospiele kennt. Wunderbar schaurig ist das – und auch fürs Büro ganz passend. (Stefan Weiss, 9.5.2024)