Viele Walarten sind bekannt für ihre Kommunikationsfreude. Buckelwale beispielsweise verständigen sich mit komplexen Abfolgen von Pfeif- und Quietschtönen und tiefen Rufen. Pottwale wiederum verwenden verschiedene "Klicklaute" für den Austausch untereinander. Nun hat eine KI-unterstütze Untersuchung festgestellt, dass das Kommunikationssystem der Pottwale deutlich komplexer ist, als man lange Zeit angenommen hatte. Die Forschenden wollen gar eine Art Alphabet entdeckt haben.

Pottwale haben die größten Gehirne unter allen bekannten Tieren. Dies geht einher mit äußerst komplexen sozialen Verhaltensweisen zwischen Individuen, Familien und kulturellen Gruppen. Dieses soziale Miteinander erfordert eine hohe Kommunikationsleistung, insbesondere in einer Umgebung mit hohem Wasserdruck, wie er bei der Jagd nach Nahrung in der Tiefsee vorherrscht.

Pottwal vor Dominica
Die kommunikativen Fähigkeiten der Pottwale waren bisher offenbar unterschätzt worden, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Foto: AP/Samuel Lam

Fast 9000 "sprachliche" Grundbausteine

Das Team um Pratyusha Sharma vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und des Projekts CETI (Cetacean Translation Initiative) analysierte die Vokalisationen von rund 60 verschiedenen Pottwalen (Physeter macrocephalus), die zwischen 2005 und 2018 in der Karibik aufgezeichnet worden waren. Dabei gelang ihnen die Identifizierung von insgesamt 8719 vokalisierten Grundbausteinen von annähernd zwei Sekunden Länge, sogenannten Codas, die sich in 21 durch frühere Studien definierte Typen einteilen ließen.

Die annähernd neuntausend Codas waren ein wichtiger Ausgangspunkt für die Erforschung des komplexen Kommunikationssystems dieser Tiere. Neben dieser Goldgrube an Daten setzte das Team auf eine Mischung aus Algorithmen zur Mustererkennung und Klassifizierung sowie auf Daten von Aufzeichnungsgeräten am Körper der Wale. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Kommunikation der Pottwale alles andere als zufällig oder simpel ist, sondern auf komplizierte kombinatorische Weise strukturiert ist.

Viele Kombinationsmöglichkeiten

Konkret fanden die Wissenschafter so etwas wie ein "phonetisches Alphabet", in dem verschiedene Elemente, die die Forscher als "Rhythmus", "Tempo", "Rubato" und "Ornamente" bezeichnen, zusammenspielen. Das Ergebnis ist eine breite Palette von unterscheidbaren Codas, die je nach Gesprächskontext anders moduliert waren. So variierten die Tiere beispielsweise die Dauer ihrer Töne (Rubato) oder fügten ihnen ornamentale Elemente hinzu. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Grundbausteine dieser Codas unterschiedlich miteinander kombiniert werden können, sodass den Walen ein riesiges Repertoire an unterschiedlichen Vokalisationen zur Verfügung steht.

Pottwal vor Dominica
Ein Pottwal schwimmt in den glasklaren Gewässern vor der Küste der karibischen Insel Dominica. Wissenschafter sind den Lautäußerungen dieser intelligenten Tiere auf der Spur.
Foto: AP/Samuel Lam

Die Untersuchungen wurden unter anderem mithilfe von akustischen Bio-Logging-Geräten (sogenannten D-Tags) durchgeführt, die die komplizierten Details der Gesangsmuster der Wale erfassten. Durch die Entwicklung neuer Visualisierungs- und Datenanalysetechniken fanden die Forschenden heraus, dass einzelne Pottwale in langen Gesprächen verschiedene Coda-Muster verwenden können, nicht nur Wiederholungen derselben Coda. Diese Muster, so berichtet das Team im Fachjournal Nature Communications, sind fein nuanciert und beinhalten Variationen, die von den anderen Walen erkannt und wiedergegeben werden.

Strukturierte Informationsinhalte

"Wir wagen uns ins Unbekannte, um die Geheimnisse der Pottwal-Kommunikation zu entschlüsseln, ohne dass es dafür bereits Daten gibt", sagt Daniela Rus vom MIT Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory (CSAIL). "Der Einsatz von maschinellem Lernen ist hilfreich, um die Merkmale ihrer Kommunikation zu identifizieren und vorherzusagen, was sie als Nächstes sagen." Die nun vorgestellten Resultate würden auf die Existenz strukturierter Informationsinhalte hindeuten, so die Forscherin. Und das würde die unter Linguisten vorherrschende Meinung infrage stellen, dass hochkomplexe Kommunikation nur beim Menschen vorkommt.

"Dies ist ein Schritt für den Nachweis, dass andere Spezies über eine Komplexität bei der Kommunikation verfügen, die man bisher nicht kannte und direkt mit dem Verhalten verbunden ist", sagte Rus. "Unsere nächsten Schritte zielen darauf ab, die Bedeutung hinter dieser Kommunikation zu entschlüsseln und die Zusammenhänge zwischen dem, was gesagt wird, und den Handlungen der Gruppe zu untersuchen."

Video: Pottwale von der Küste von Dominica kommunizieren per Klicklauten mit ihren Artgenossen.
NPG Press

Vorbereitung für die Aliens

Die anstehenden Forschungsarbeiten zielen insbesondere darauf ab, herauszufinden, ob Elemente wie Rhythmus, Tempo, Ornamente und Rubato bestimmte kommunikative Absichten verfolgen. Letztlich geht es auch um die Frage, ob beim Pottwal tatsächlich eine sogenannte zweifache Gliederung vorkommt, ein linguistisches Phänomen, bei dem bedeutungstragende und bedeutungsunterscheidende Einheiten kombiniert werden, um komplexe Bedeutungen zu vermitteln. Derartiges kannte man bisher nur bei menschlicher Sprache.

"Einer der faszinierenden Aspekte unserer Forschung ist, dass sie Parallelen zu dem hypothetischen Szenario der Kontaktaufnahme mit außerirdischen Spezies aufweist", sagte Sharma. "Es geht darum, eine Spezies mit einer völlig anderen Umgebung und fremden Kommunikationsprotokollen zu verstehen, deren Interaktionen sich deutlich von den menschlichen Normen unterscheiden. Im Grunde genommen könnte unsere Arbeit den Grundstein für die Entschlüsselung der Kommunikation einer 'außerirdischen Zivilisation' legen." (Thomas Bergmayr, 10.5.2024)